Mein Glueck
Gelbweiß, die Gardinen verschmutzt. In der Koje mit dem Waschbecken gab es einen kleinen Spiegel, der wie eine Lache wirkte, in der man sich mit Mühe erkennen konnte. Ein großes Bett, das ein fleckiger roter Überwurf bedeckte, nahm fast den ganzen Raum ein. Die nackten Birnen, die kein Lampenschirm dämpfte, waren in die weißen Fassungen geschraubt. Sie spendeten jedoch nicht mehr als die Helligkeit knickriger Taschenlampen. Im Zimmer Nr. 13, in dem ich fast ein Jahr lang Unterkunft fand, gab es eine kurze Wand mit einer Tapete, auf der, wie ein Nachhall, ausgebleichte rote Rosen zu erahnen waren. Dieses Echo verschwundener Blumen beschäftigte mich so stark, dass ich mich an einen Monolog machte, in dem die halluzinatorische Präsenz der Flora zum Anlass eines fiebrigen Gangs in die Verlorenheit wurde.
Zum Schreiben hatte mich einer der ersten Besuche bei Beckett animiert. Ich gab meinem Monolog den Titel »Orpheus« und notierte in einer Regieanweisung: »Der Text muss gleichmäßig und gleichgültig gesprochen werden. Das Wichtigste ist die Obstination … Der Sprecher muss sich hüten, die Stellen, denen er eine gewisse Bedeutung beimisst und die ihm rational zugänglich sind, Kraft zu verleihen …« Man hört einen Mann, einen Witwer, der unentwegt seiner Frau zu begegnen hofft. Er zählt die Blumen, offensichtlich die Jahre: »Eintausendneunhunderteinundsechzig. Lachen. Dazu Bett, Schrank, Tisch, Stuhl und so ein bisschen Zeug im Schrank … Messer, Löffel, Fotos, das Ding – innendrin Watte – jedenfalls ein Vogel, schwarzer Vogel mit zwei Köpfen … Nichts Neues. Immer das gleiche, der Hof, stinkige, kleine Hof. Geradeaus, vier Mal Glas, Holz, braunes Holz … Rosen, haltbare, die verwelken nie, sind immer frisch, aber immer ein bisschen dunkler, von Jahr zu Jahr ein bisschen fetter, wie geronnenes Blut sieht das aus … Warum soll man da nichts ändern dürfen, wenn man dahinterkommt, dass einen wie Münder, aufgesperrte Münder, Blutegel, ja wie Blutegel sind sie, aussaugen … Aber ich hab es gemerkt. Ich bin dahintergekommen – das mit dem Rauschen zuerst – nachts, das Eigene, das Geräusch, wie Singen. Ich hab die neue Rose erblickt, links, hinterm Schrank – man kann etwas dagegen machen, hab ich mir gesagt. Jetzt den Schrank ein bisschen vorziehen (Keuchen, Anstrengung). So, Daumen nass machen, über die Rose fahren, schwuppdich – aus mit der Rose, Rose ade – grau, verschmiert, fettig, wie eine zerdrückte Wanze. Ein Klecks.«
Walter Höllerer, dem ich das Manuskript zugeschickt hatte, meinte, für eine Publikation in der Zeitschrift Akzente sei er zu lang. Die düstere Stimmung, in die ich seit meiner Ankunft im fremden Paris verfallen war, hätte sich eine Lieblingsstelle aus Schopenhauer über die Tür schreiben können: »Viel weniger irrt, wer, mit zu finsterm Blicke, diese Welt als eine Art Hölle ansieht und demnach nur darauf bedacht ist, sich in derselben eine feuerfeste Stube zu verschaffen.« Ich tastete mich nachts durch ein leeres schwarzes Haus. Ein keuchender Mensch schritt in seinem Monolog den Weg ab, der schließlich ins Freie, auf unbekannte dunkle Straßen führte. Doch zu einer Flucht sollte es nicht kommen. Die abgeblühten Blumen an der Wand nahmen wie im »Zauberer von Oz« mit einem Schlag wieder Farbe an und lockten mich zurück. Erst später fand ich heraus, dass ich damals von Klingsors verführerischem Zaubergarten träumen durfte. Von Robert Rauschenberg und Ellsworth Kelly erfuhr ich in den sechziger Jahren beim ersten Treffen in New York, dass auch sie einige Zeit in dieser trüben Unterkunft zugebracht hatten. Kelly hatte Paris nach sechs Jahren 1954 wieder verlassen. Doch einige Fotos, die er hervorsuchte, erinnerten an den Aufenthalt. Eine Hauswand mit einem Postkasten in der Straße, in der unser Hotel lag, hob die malerische Wirkung hervor, die der Zerfall in die Stadt zauberte und die das Pariser Informel als einen Realismus erscheinen ließ. Es war eben das Paris, dem Kelly in seinen Arbeiten sehr schnell entgehen wollte und dem er deshalb widerspricht. Er suchte klare Konturen und Farben, bekämpfte die Patina und das Malerische. Auch er hätte sich einen Ausspruch Ad Reinhardts zu eigen machen können: »No noise, no schmutz, no schmerz, no fauve schwärmerei.« Davon zeugt eine Aufnahme, die in seinem Zimmer im »Hotel de Bourgogne« entstanden ist. Dieses diente ihm auch als Atelier. Und das Foto aus dem Jahre 1949 war der Beweis dafür,
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