Mein Glueck
schienen wie ein Äquivalent zu der von Wilson inszenierten Dehnung der Zeit.
Sigrid und Günter Metken, Werner Spies
Zum Mittagessen gingen wir gerne aus, und nach dem Essen schauten wir in Buchhandlungen oder Galerien vorbei. In erster Linie besuchten wir La Hune, wo Bernard Gheerbrant regierte. Er präsentierte regelmäßig die neuesten illustrierten Bücher von Max Ernst. Für La Hune und eine erste Dokumentation der Bücher und Graphiken von Max hatte 1950 André Breton den Katalogtext beigesteuert. Andere Abstecher galten der Galerie Quatre Mouvements, die Marcel Fleiss nach und nach zu einer bedeutenden Institution ausbaute, in der Rares, Vergessenes und Unauffindbares zu sehen und zu entdecken war. Max Ernst war von dem Ernst, mit dem sich Marcel mit dem scheinbar Unscheinbaren abgab, überaus beeindruckt. Abgesehen von Timothy Baum in New York oder Hans Bolliger gab es außer Marcel Fleiss niemanden, der sich so früh und mit solcher Sorgfalt für den Surrealismus eingesetzt hätte. Max Ernst sah, dass es ihm um den Geist von Dada und Surrealismus ging, nicht, wie im Fall von Jean Hugues, nur um Preziöses und Teures. Dieser ging ihm schließlich auf die Nerven. Er fand ihn pedantisch, nannte ihn, wenn wir allein waren, einen »fils de notaire« und übergab ihm nur widerstrebend einen Teil seiner Bibliothek, die dieser dann bei Roux für viel Geld binden ließ. Wie wenig ihm die Einkleidung der Bücher und das bibliophile Gehabe behagte, zeigte auch, dass er Hugues schließlich billige Versandkataloge zum Binden übergab. Er liebte die Bibliophilie nicht, er liebte es zu lesen und fand, dass die Manie, Bücher kunstvoll zu drapieren, eine Verfälschung darstelle. Das, was die surrealistischen Publikationen auszeichnete, die Verschiedenartigkeit der Größen, der Farben der Umschläge, ein grundsätzliches Understatement ging bei dieser sakralen Übertünchung verloren. Ich habe mit Jean Hugues, dessen Kennerschaft unbestreitbar war, eine überaus üble Erfahrung gemacht. Eines Tages tauchte er bei Max mit einer Mappe auf. Er öffnete sie, wie es seine Art war, auf zeremoniöse Weise. Er habe diese Blätter in Marseille im Nachlass eines Schriftstellers entdeckt. Beim ersten Blick auf das Portfolio sagten Max und ich unisono: »Das sind Fälschungen.« Hugues meinte, um das Gesicht zu wahren, er habe das auch sofort gedacht. Er wollte nur Gewissheit haben. Viele Jahre nach dem Tode von Max bat mich Hugues, in seine Wohnung an der Rue de Seine zu kommen. Er könne mir etwas zeigen, was mich freuen würde. Ich musste mich auf einem Sessel installieren, er setzte sich mir gegenüber und präsentierte seine »Funde« in einem Portfolio, das mir sehr bekannt vorkam. Tatsächlich, er versuchte es erneut mit diesen Fälschungen. Meine Reaktion war unmissverständlich: »Ich habe diese Machwerke bereits zusammen mit Max bei Ihnen bewundern dürfen.« Dann verließ ich wortlos die Wohnung und sah ihn nicht wieder. Seine Rache bestand darin, dass er mir nach der Eröffnung der triumphalen Retrospektive Max Ernst, die ich im Centre Pompidou 1992 organisiert hatte, einen Brief schickte mit der Feststellung, nun hätte ich definitiv bewiesen, dass ich nichts vom Werk und Geist Max Ernsts verstünde.
In eine Galerie brachte ich Max nicht hinein, nämlich in die von Heinz Berggruen. Er sei früher einmal dort gewesen, um eine kleine Federzeichnung von Klee zu erstehen, den er verehrte und dessen Arbeiten er 1919 in einer Dada-Ausstellung in Köln gezeigt hatte. Davon könne doch keine Rede sein, dass Max diese kaufe, meinte Berggruen, er schlage einen Tausch vor. Max lud ihn ein, im Atelier vorbeizukommen, das in der Nähe lag, um sich etwas auszusuchen. Dieser Besuch endete in einer desaströsen Beleidigung Max Ernsts. Berggruen habe für das winzige Blättchen mehrere Arbeiten gefordert und zusätzlich eine Graphikedition in einer Auflage von hundert Exemplaren verlangt. Da habe er ihm selbstverständlich die Türe gewiesen.
Max liebte die guten Restaurants und konnte es nicht ausstehen, wenn ihn jemand von einem solchen Besuch abzubringen versuchte. Die größte Gefährdung unserer gastronomischen Ausflüge stellte Dominique de Ménil dar. Eines Tages hatte Max in einem herausragenden Restaurant reserviert. Es lag in der Nähe der Halle aux Vins und ist leider inzwischen längst verschwunden. Es war berühmt für seine fabelhafte Foie gras. Wir freuten uns. Dominique war unangemeldet erschienen, und wir mussten
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