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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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sich genommen, war sie von einer Präzision, die mit ihrer Wahl und ihrer Absage an das erinnerte, was Stschukin und Morosoff vor dem Ersten Weltkrieg für den Kubismus geleistet hatten.
    Die Begegnung mit Balthus fand ich spannend. Der Hinweis auf die Berliner Jahre, auf die große Nähe zu Rilke, die in Frankreich zumeist übersehen wurden und die Balthus gerne unterschlug, hat nichts mit der Beschwörung eines Nationalgeists zu tun. Er hilft, die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von Avantgarde und Revival in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im europäischen Kontext aufzurollen. Denn Balthus, dessen Wurzeln in dem Bereich liegen, der in Frankreich dank dem Begriff »Mitteleuropa« in eine von Faszination umgebene Ferne gehoben wird, hat von dem Goût an einem realistischen Malstil her gesehen nicht wenig mit den Malern der Neuen Sachlichkeit zu tun. Die einprägsamen Bilder unterstreichen eine ästhetische Position, die sich im Widerspruch zur Entfaltung der Pariser Moderne entwickelt hat. Hier tritt ein Künstler auf, der von Anfang an jede Verbindung zu den Experimenten der Avantgarde vermissen lässt. Von einer Zeitgenossenschaft minus Avantgarde wollte man bei ihm sprechen.
    Die Briefe der Sammler, welche die Übersendung der Dokumente und Fotografien begleiteten, darunter von David Niven oder Maria Félix, waren überaus reizend, erzählten von Begegnungen mit Max und vom Glück, mit den Bildern zu leben. Seine Werke waren also nicht in anonyme Sammlungen gelangt, sondern in den Besitz passionierter Kenner. Das führte zu aufregenden Besuchen und Diskussionen mit Serge Lifar, der immer noch Max Ernsts Entwürfe für das Ballett »Roméo et Juliette« aus dem Jahr 1925 bewahrte, oder mit Robert Bresson, der selbst als Maler begonnen hatte. Das Zusammensein mit Bill Copley, Bernard Reis, Victor Ganz, Harold Diamond, Timothy Baum, Charles Henry Ford in New York oder mit Joseph Randall Shapiro und Robert und Linda Bergman, Lillian Florsheim, Harold Joachim in Chicago öffnete viele Türen. In den USA kam ich in viele jüdische Familien und lernte dort ein Raffinement und eine Zurückhaltung kennen, die mich bestürzten. Das Zusammensein mit Emigranten, so selbstverständlich es auf der einen Seite schien, bewegte mich andererseits doch sehr. Am schlimmsten war es, die zahllosen Fotos von Kindern und jungen Menschen zu ertragen, die einen von Kommoden und Flügeln aus anblickten. Man sah diese Erinnerungsbilder an wie ein Requiem, das zur erstickenden Totenwelt eines Christian Boltanski zu gehören schien. Und Christian Boltanski erregte mich mehr als viele andere Künstler. Stärker als in »Inventar der Dinge, die einer Frau in Bois-Colombes gehört haben« ließ sich die Hinfälligkeit des Augenblicks nicht an Objekte binden. Geschirr, Küchengeräte, Möbel, abgetragene Wäschestücke, zerfledderte Bücher, das Bestandsverzeichnis eines abgelebten Seins, versammeln sich zu einem modernen Totentanz. Boltanski zeigt Trauer auf kalte, unsentimentale Weise. Daher rühren die Scham, die den Besucher im Umgang mit diesen Arbeiten ergreift. Dieser blickt nur den Fotos, nicht den Mitbesuchern in die Augen. Er sieht nichts anderes und Fremdes, er sieht sich als das andere und Fremde. Denn die Schuhe, die Kleider, die Vielfalt der Gesichter, die Versatzstücke der Inszenierungen liegen in allen Größen und Altersstufen aus. Wir schlüpfen wie Einsiedlerkrebse in sie hinein. Jeder findet, wie im gutsortierten Warenangebot, zwangsläufig das Passende. Man spürt, Leben ist austauschbar. Wo lässt sich da ein Ich retten?
    Alle Sammler, die wir besuchten, hegten eine tiefe Bewunderung für Max. Ein Großteil wichtiger Bilder war in privater Hand geblieben. Daran hat sich im Grunde bis heute nicht viel geändert. Das merkte man, wenn man eine Retrospektive mit Arbeiten von Max Ernst organisiert; weiterhin kommt ein bedeutender Teil der Leihgaben aus privater, verschwiegener Hand, ganz anders als bei Picasso, Miró oder Dalí, von denen sich das Wesentliche inzwischen in öffentlichem Besitz befindet. Wir hatten unser Unternehmen glücklicherweise begonnen, bevor sich Sammler systematisch hinter der Bezeichnung »Privatsammlung« zu verschanzen suchten oder ihre Schätze verbargen. Die Zahl der Entdeckungen unbekannter Arbeiten ging schließlich in die Tausende. Ich konnte mit Freude und Genugtuung miterleben, wie sich Max Ernst doch nach und nach für unseren Einsatz zu interessieren, ja zu passionieren

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