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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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»Engel der Geschichte« mit einer Arbeit von Klee begründete. Deren totale Frontalität und Symmetrie würde visuell überhaupt nichts über diesen Sturm aussagen, der vom Paradiese her wehe und der so stark sei, dass der Engel seine Flügel nicht mehr schließen könne.
    Auch Polanskis Filme hatten Max gepackt. Eines Tages nahm Peter Schamoni seinen Freund mit in die Rue de Lille. Dorothea und Max freuten sich überaus. Ich erzählte Roman, ich sei nur einmal in meinem Leben aus einem Film weggelaufen. Das Bild der Catherine Deneuve, die in »Ekel« als Carol in katatonischer Starre mit den Leichen zusammenliegt, sei mir unerträglich gewesen. Das freute ihn, und mit einem diabolischen Lachen meinte er, dann hätte sich für ihn der Film ja gelohnt. Polanski war von diesem Treffen in der Rue de Lille begeistert – beim Filmfestival in Tours war ihm zuvor schon einmal als Trophäe eine kleine Skulptur von Max Ernst überreicht worden. Als sich Polanski verabschiedete, standen wir oben auf dem Treppenabsatz vor der Wohnung. Roman drehte sich unten noch einmal um und rief laut durchs ganze Haus: »Max ich muss jetzt schnell nach Hause und ein Kind machen, damit ich dem später erzählen kann, dass ich dein Freund geworden bin.« Nie hat er diese Episode vergessen. Bei einem Abendessen bei Sophie und Jérôme Seydoux erinnerte er sich neulich noch an diesen für ihn unvergesslichen Moment. Anders verlief es mit der Begegnung Borowczyk und Max Ernst. Dessen Film »Goto, l’île d’amour« hatten wir bewundert. Er führte uns in Seillans seinen jüngsten Film »La bête« vor. Alle waren entgeistert und sprachlos über die zoophilen Szenen, die seine Version der Geschichte von der berüchtigten Bête du Gévaudan in allen Details ausmalte. Ein monströses Tier, ein Werwolf, vergewaltigt eine Frau. Dabei fließen Ströme von Sperma. Der Stoff bezog sich auf eine wahre, nie aufgeklärte Geschichte aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Bei mörderischen Überfällen waren in der Auvergne hundert Menschen Opfer der Bestie geworden. Ausgerechnet in dem Moment, als wir alle gebannt die schlimmste Szene des Films betrachteten, sprang der kleine Hund Groucho herbei und setzte sich Dorothea auf den Schoß. Hinter ihr hing eines ihrer Bilder, auf denen ein Hund eng verschlungen mit einer Frau tanzt. Das war nichts für Max. Es verdarb ihm den Appetit und die Freude an dieser »Fête à Seillans«, von der anschließend auch die Dorfbewohner Seltsames munkelten.
    Max verbrachte täglich eine bestimmte Zeit im Atelier, sonst las er. Andauernd erwähnte er frühe Lektüren, die er immer wieder aufnahm, Salomons »Hohes Lied«, Max Stirner oder Strindbergs Ein Blaubuch , ein stupendes Repertoire ständiger Einfälle und Halluzinationen, das der Autor »die Synthese meines Lebens« nennt. Es gehört sicherlich zu den gewaltigsten Büchern, die Sprunghaftigkeit und aphoristisches Denken im Vertrauen auf die dunkle Energie der Disziplinlosigkeit hervorbringen. Auch die Verbindung von Text und Illustrationen musste Max herausfordern. Sogenannte chladnische Klangfiguren, die Töne sichtbar machen, beschäftigten ihn immer wieder in seinen Collagen. Schon zuvor war mir aufgefallen, dass im Collageroman Das Karmelienmädchen. Ein Traum , den ich während der Osterferien 1971 in Seillans ins Deutsche übertrug, einige Illustrationen und Bildlegenden auf Strindbergs Ein Traumspiel verweisen. Auch Bücher wie Jan Graf Potockis Die Handschrift von Saragossa rissen ihn mit, und selbstverständlich schloss ich mich gierig seinen Lektüren an. Auch andere Texte Max Ernsts übersetzte ich, um sie in Katalogen zu verwenden. »Danger de pollution«, »Pollutionsgefahr« gehörte dazu. Diese Arbeit gab mir Gelegenheit, für Formulierungen, mit denen Max Ernst in diesem flammenden Aufruf die klerikalen Vorstellungen von Sexualität angriff, deutsche Entsprechungen zu finden. Die Wendung »Wald-und-Wiesen-Fick« jedenfalls, die ich für den simplen, von der Kirche nach der Definition des Kirchenrechts tolerierten Liebesakt vorschlug, machte ihm einiges Vergnügen.
    Am späteren Nachmittag verließ Max Ernst in der Regel das Haus. Er spielte gerne Boules unter den schattigen Platanen auf einem Platz, der sich unterhalb seines Gartens befand. Alle Bewohner hatten ihn in Seillans ins Herz geschlossen. Wenn er erschien, ertönte die Frage: »Wie geht es, Monsieur Max, was macht die Malerei, Monsieur Max?« Die geliebte Tochter seiner

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