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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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verwendet hatte.
    Peter Schamoni hatte zu einem solchen Treffen einmal den Cineasten Walerian Borowczyk, dem wir »Goto, l’île d’amour«, einen unvergesslichen Alptraum, verdanken, mitgebracht. Er war der Freund des Filmproduzenten Anatole Dauman. Max liebte Filme. Wsewolod Pudowkins »Sturm über Asien« beeindruckte ihn, wie er mir erzählte, Ende der zwanziger Jahre ungemein. Und er wollte mich, als er in der Rue Champollion, nicht weit von der Sorbonne, in einem Kino gespielt wurde, an seiner Erregung teilhaben lassen. In den zwanziger Jahren taucht in Max Ernsts Bildern und Techniken ein Kulturpessimismus auf, den er in Pudowkins agitatorisch-wildem Film wiedergefunden hatte. Dieser lässt, darüber sprachen wir lange, an die Rasanz seiner »Horden« und »Barbaren« denken. In seinen damaligen Bildern, so Max Ernst, habe er versucht, Rimbauds Forderung, die »Seelen monströs werden zu lassen«, umzusetzen. Auch Artauds Lob des Ausschweifenden, des Barbarischen wirke hier fort. Unter dem Titel »Le Monde au temps des surréalistes« präsentiert in dieser Zeit der Surrealismus eine Karte, in der die Eroberer des Irrationalen einen neuen Grenzverlauf gezogen haben. Geographische Zonen weichen emotionalen Regionen. Unübersehbar erscheint in dieser surrealistischen Weltkarte vor allem der Vorrang Asiens. Dahinter steckt die Vorstellung von einer unverbrauchten Energie, die alle Konventionen zu eliminieren vermag. Wir finden den bewundernden Hinweis auf das »Barbarische«, das mit Asien in Zusammenhang gebracht wird, auch bei Antonin Artaud und in Appellen, die die Surrealisten zusammen mit den Gruppen um die Zeitschriften Clarté , Philosophies und Correspondance unterzeichneten. In einem gemeinsamen Traktat ist zu lesen: »Nous sommes certainement des Barbares puisqu’une certaine forme de civilisation nous écœure … C’est notre rejet de toute loi consentie, notre espoir en des forces neuves, souterraines et capables de bousculer l’Histoire, de rompre l’enchaînement dérisoire des faits, qui nous fait tourner les yeux vers l’Asie … La stéréotypie des gestes, des actes, des mensonges de l’Europe a accompli le cycle de dégoût.« (»Wir sind mit Sicherheit Barbaren, weil eine gewisse Form von Gesellschaft uns anwidert … Es ist unsere Zurückweisung von jeglichem beschlossenen Gesetz, unsere Hoffnung in neue Kräfte, untergründig und fähig, die Geschichte umzustürzen, den lächerlichen Lauf der Dinge zu unterbrechen, die uns nach Asien blicken lässt … Die Stereotypie der Gesten, der Handlungen, der Lügen in Europa hat das Maß des Degouts erreicht.«) Max Ernst fügte hinzu, bei der Darstellung von Sturm und erregter Natur, der barocken Ekstase, den aufgewühlten, tiefen Gewandfalten seiner damaligen Bilder habe er an »Walpurgisnacht«, an »Schimmelreiter« oder auch an Kokoschkas »Windsbraut« gedacht. Doch im Umkreis des Surrealismus gewinne die Auseinandersetzung mit den stürmischen Motiven eine zusätzliche Aussage. Sie beziehe sich auf ein Erschrecken ohne Katharsis.
    Das lässt an das Lob des »Konvulsivischen« denken, mit dem Breton eine zwischen physiologischer und psychischer Stimmung schwebende Präsenz beschreibt. So wenig wie Leiris oder Lévi-Strauss geht es Max Ernst bei seiner Reise nach Ostasien, bei seinem Eindringen in die Tempelstädte und Regenwälder um Exotismus, sondern vielmehr um Selbsterkenntnis. Seine Bilder bleiben von dem, was er gesehen und erlebt hat, zutiefst beeindruckt. Die Konfrontation mit kolonialistischer Willkür und Grausamkeit, die Erfahrung der Unerbittlichkeit der Tropen oder mit einem von einer »Zeit vor der Zeit« sprechenden Angkor Vat nährt den politischen und ästhetischen Aufruhr. In vielen Details spricht sich dies aus. In dem Prosagedicht »Was ist ein Wald?« erläutert der Künstler den doppelten Blick, zu dem die Verfremdung durch die Reise aufruft. Der Text schwankt zwischen »Entzücken« und »Bedrückung«: »Die wunderbare Lust, frei zu atmen im offenen Raum, doch gleichzeitig die Beklemmung, ringsum von feindlichen Bäumen eingekerkert zu sein. Draußen und drinnen zugleich, frei und gefangen.« Auf die Begegnung mit der überwucherten Architektur und Geschichte antwortet sein Satz »Die Bäume fressen den Horizont«. Nichts charakterisiert diese Erfahrung genauer als die Dschungelbilder, die nun entstehen. Deshalb war Max Ernst überrascht, als er erfuhr, dass Benjamin in Angelus Novus seine Vorstellung vom

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