Mein Glueck
sie selbstverständlich mitnehmen. Sie wollte die Schlemmerei sofort durch ihr gutes Beispiel stoppen und begnügte sich bei der Bestellung mit ein paar Blatt Salat und dazu Naturreis. Doch dies konnte uns nicht von unserem Plan abbringen. Wir bestellten ein reiches Menu, und Max suchte in der Weinkarte Entsprechendes aus. Dominique versuchte auch hier zu intervenieren: »Ich brauche nichts, und Max, denk daran, zu Mittag sollte man sich zurückhalten, und Werner wird sowieso nichts trinken, weil wir ja nachher zusammen arbeiten möchten.« Als Kompromiss schlug sie schließlich vor, uns doch mit einer halben Flasche zufriedenzugeben. Max blickte kurz auf die Weinkarte und hatte sofort die Antwort parat: »Hier gibt es keine halben.« Wir zwei tranken schließlich zusammen zwei ganze Flaschen.
Als wir mit der Arbeit am Œuvre-Katalog begannen, wollte uns Max Ernst in fürsorglicher Weise unterstützen, damit wir auf unnötige Sendungen der umfangreichen Korrespondenz besser reagieren konnten. Er gab einen Stempel mit der Aufschrift »Sans intérêt – Retour à l’expéditeur« in Auftrag. Die Folge war, dass ich morgens, wenn ich zu ihm kam, oft nur in letzter Sekunde verhindern konnte, dass er Briefe vom Finanzamt und anderen offiziellen Stellen mit diesem schönen Stempel versehen, wieder in die Post gab. Zu Beginn unseres Unternehmens wäre es ohne seinen Blick und ohne sein Urteil so gut wie unmöglich gewesen, die oft so disparaten Bilder und Zeichnungen, von denen viele wie Solitäre wirkten, dem Werk zuzurechnen. Erst im Laufe der Zeit, dank einer ständigen Beschäftigung, die dazu führte, dass wir das Werk im Kopf hatten, gewannen Sigrid und Günter Metken und ich so etwas wie Sicherheit bei der Beurteilung und chronologischen Einordnung. Dabei begannen wir rasch, manches, was dem Werk zugeschrieben oder zugeschoben wurde, zu eliminieren. Das Dossier mit Arbeiten, die wir als Fälschungen aussonderten, wuchs ständig und umfasst inzwischen sicherlich an die vierhundert Nummern. Dank Max Ernsts Mitarbeit hatten wir die Überzeugung und die Gewissheit, diese Arbeit am Œuvre-Katalog mit Objektivität zu betreiben. Wie schwer es sein konnte, das Werkverzeichnis eines Künstlers zu erstellen, beichtete mir kein Geringerer als Kahnweiler. Als ich ihn eines Tages fragte, warum er nicht an einen Œuvre-Katalog der Werke von Fernand Léger denke, antwortete er, beinahe mitleidig: »Lieber Werner, das ist so gut wie unmöglich. Es gibt zu viele Fälschungen und Unsicherheiten.« Er verwies außerdem darauf, dass die großzügige Witwe Nadja, eine ehemalige Schülerin Légers, selbst male. Auch stürzte für Kahnweiler die Welt nicht zusammen, als man eines Tages bemerkte, dass er, der unanfechtbare Entdecker des Kubismus und Freund Légers, trotz seiner lückenlosen Inventare einer Reihe von Fälschungen aufgesessen war, für die er Zertifikate ausgestellt und die er unter anderem an die Galeristen Beyeler und Berggruen verkauft hatte.
Werner Spies und Christian Boltanski
In den Zeiten, da Max Ernst im Süden in Seillans weilte, flog ich mindestens ein- bis zweimal im Monat zu ihm. Es herrschte dort eine anregende entspannte Atmosphäre. Der Tagesablauf war genau geregelt. Er kulminierte in der abendlichen Cookie-Time, während der man eine gute Stunde vor dem Essen Cocktails trank. Dann und wann veranstalteten Dorothea und Max Feste, für die sich die Gäste verkleiden sollten. Dazu stießen André Pierre de Mandiargues, Daniel Filipacchi, Sondra Peterson, Robert Lebel, Patrick Waldberg. Marcel Duhamel, ein alter Freund Max Ernsts, Tanguys und Préverts, der Begründer der »Série noire« bei Gallimard, tauchte in einem weißen Nachthemd auf und trug, als einer von Rodins »Bürger von Calais«, einen Strick um den Hals. Es war der Strick, mit dem er in Drôle de drame in der Schlussszene Michel Simon zu lynchen suchte. Duhamel hatte eben seine umwerfend komische Autobiographie beendet, für die er den schönen Titel Raconte pas ta vie gefunden hatte. In den vielfarbigen Werken »Fête à Seillans« ließ Max etwas von der turbulenten und bunten Stimmung aufleben. Die Wiederholung von Formen, die sich wie zu einem Puzzle zusammenfügten, spielt auf die zusammengewürfelte Gesellschaft an und nahm ein damals von Dubuffet hundertfach verwendetes Spiel mit Wiederholungen wieder auf, das Max Ernst selbst in den späten zwanziger Jahren in Bildern wie »Aux 100.000 colombes« eingeführt und einige Zeit lang
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