Mein Glueck
wider, der lange als ein »littérateur« und nicht als bildender Künstler betrachtet wurde. Auch der Kunstmarkt reagierte entsprechend. Ein Grund hierfür war sicher auch, dass Max Ernst dem Galeriebetrieb aus dem Weg ging. Eine Galerie wie die von Aimé Maeght, die dafür sorgte, aus dem eher zurückhaltenden Miró einen fleißigen Produzenten von Graphiken zu machen, war Max Ernst ein Graus. Ich freundete mich damals mit Dominique und Jean de Ménil an, die zu seinen begeisterten Sammlern und großen Freunden zählten. Wir trafen uns erstmals bei Max in Seillans. Immer wieder sahen wir uns, besuchten Ausstellungen und diskutierten. Dominique war von einer Aufgeschlossenheit, einer Neugierde, die unschlagbar schien. Sie notierte alles, verifizierte es und ließ keinen Gedanken fallen. Ich schlug eines Tages vor, den Œuvre-Katalog zu erarbeiten, zusammen mit Sigrid und Günter Metken. Der Vorschlag wurde von beiden mit Freude aufgegriffen. Sie waren bereit mitzuarbeiten. Nur Max selbst zeigte keinerlei Enthusiasmus. Das sei doch nichts für ihn, für einen Mann, der wie ein Vogel immer frei gewesen sei. »Lassen wir das den Pedanten«, winkte er anfangs ab, »ich bin doch nicht retrospektiv, ich lebe jetzt.« So etwas passe allenfalls zu Künstlern wie Dubuffet, der morgens, wie Max amüsiert bemerkte, ins Atelier wie ins Büro ziehe und der, ehe er überhaupt einen Strich auf einem Blatt oder auf der Leinwand mache, zuerst eine neue Nummer und einen Titel in sein Werkverzeichnis eintrage. Doch ich ließ nicht locker, und eines Tages meinte Max leicht belustigt, wenn mir das Spaß mache, könne er mich nicht daran hindern. Wir drei, Günter und Sigrid Metken und ich, begannen daraufhin alles einzusammeln, was sich irgendwie an Reproduktionen in Büchern und Zeitschriften auffinden ließ. Bei einem Besuch in New York überließ mir Lucy Lippard, die offensichtlich ebenso wie wir vom Werk Max Ernsts, seiner Intellektualität und Bildpoesie, begeistert war, einen braunen Lederkoffer, in dem sie Dokumente und Informationen gesammelt hatte. Ich erinnere mich noch, ich schleppte ihn an die Ecke Canal Street und Broadway und wäre dabei um ein Haar von einem riesigen Laster überfahren worden. Das ähnelte letztlich der Arbeit von Archäologen, die sich auf das zwanzigste Jahrhundert kapriziert hatten. Es ließ sich nicht mit dem Vorgehen von Christian Zervos vergleichen, der dank der Archive Kahnweilers und des ständigen jahrzehntelangen Zugangs zu Picasso über eine fast lückenlose, geordnete Sammlung von Fotografien und Informationen verfügen konnte.
In gewissem Maße war der Auftrag, den wir uns gegeben hatten, spannender. Es war eine Spurensuche, etwas, was mein Freund Günter Metken als künstlerische, konzeptuelle Faszination bei Boltanski, Gette, den Poiriers, Nikolaus Lang erstmals beschrieben hatte. Ihm verdanken wir den glücklichen Ausdruck Spurensuche, der sich als Bezeichnung für diese Kunstform durchgesetzt hat. Tausende Briefe gingen in alle Welt, an Museen, Sammler, Galerien, Ausstellungshäuser, an Privatleute oder Kunsthistoriker, von denen wir uns Hilfe erhofften. In Zeitschriften gaben wir Annoncen auf, die unsere Absicht beschrieben. Das Ergebnis war überwältigend. Nach und nach tauchten Fotos, Informationen auf, die völlig Unbekanntes an den Tag brachten. Das war bezeichnend für das Werk, für seine » fortuna critica« . Unendlich viele Arbeiten schlummerten in unbekannten und unerwarteten Sammlungen. Erst nach und nach waren die Eigentümer bereit, dies mitzuteilen. Wie oft konnten wir feststellen, dass es ihnen nicht um den Besitz wertvoller Kunstwerke ging, sondern darum, eine familiäre, traditionsreiche Liebe zu Max Ernst und seinen Bildern an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Ich entdeckte überwältigende Sammlungen wie die des Barons Berti Urvater oder von Françoise und Claude Hersaint, die dank ihrer engen und langen Freundschaft mit Max viele Erinnerungen lebendig werden ließen. Françoise und Claude gehörten, genauso wie ihre Tochter Evangeline, zu den treuesten und generösesten Leihgebern bei Ausstellungen. Es gab bei ihnen an der Avenue Henri-Martin angeregte Abende mit Balthus und einer Reihe anderer Künstler und Schriftsteller, die sie unterstützt hatten. Claude Hersaint verfügte über den wohl staunenswertesten Blick auf die Künstler seiner Zeit. Für die Sammlung, die er von seinen surrealistischen Freunden angelegt hatte, gab es kein Äquivalent. Für
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