Mein Glueck
Schwester Loni, Heike Pretzell, und die Nichten Dorotheas, Mimi und Magda, waren dort gerngesehene junge Gäste. Es war ein Zusammensein voller Heiterkeit. Mit besonderer Freude traf Max in Seillans oder in Paris seine Lieblingsschwester Loni und den Schwager Lothar Pretzell, der 1950 bei der Organisation der denkwürdigen Retrospektive im halbzerstörten Brühler Schloss mitgeholfen und einen bemerkenswerten Text für den Katalog geschrieben hatte. Die Gespräche waren immer von entwaffnender Einfachheit, nie hätte er sich hervorgetan. Auch Kindern gegenüber war er ein zärtlicher, verständnisvoller Freund. Unser Sohn Patrick, kaum älter als drei Jahre, der Max liebte und der bei einer Inspektion von dessen Gemüsegarten voller Freude festgestellt hatte, dass man hier außer Pampelmusen alles finde, stellte dem Künstler folgende Frage: »Max, warum malst du Picassos?« Mit der Antwort: »Weil ich halt nichts Besseres malen kann« gab sich der kleine Kerl keineswegs zufrieden und schob nach: »Ja, warum malst du dann überhaupt?« Die Replik blieb uns allen unvergesslich: »Ja, das habe ich mich selbst auch immer gefragt.« Er gab mir überaus bereitwillig und geduldig Auskunft über seine technischen Prozeduren, die so vielfältig, so sehr auf Neues aus waren, dass er mit der gewöhnlichen Vorstellung von Stil und Entwicklung kaum mehr etwas anfangen konnte. Es war ein Erlebnis, unter seiner Führung das Arsenal an Reliefs und Vorlagen zu entdecken, die er unter ein Blatt legen und durchreiben konnte.
Am Beginn meiner Ausstellungstätigkeit stand der Vorschlag, die umfangreiche Sammlung von Dominique und Jean de Ménil auf die Reise zu schicken. Zusammen mit den Sammlern flog ich erstmals, und zwar mit einem Flugticket, das auf den Namen Robert Rauschenberg ausgestellt war, von New York nach Houston, Texas, in ihr fabelhaftes Glashaus an der San Felipe Road, das Philip Johnson als einen seiner ersten Aufträge gebaut hatte. Sie waren wunderbare Gastgeber. In der heißesten Jahreszeit, im Hochsommer, machte ich von Houston aus mit Monique eine größere Reise nach Mexiko. Ich kannte aus Paris den Maler Rodolfo Nieto, der von der Galerie de France vertreten wurde. Er skizzierte unsere Reiseroute, die nach Mérida, Chichén Itzá und Uxmal führte, und begleitete uns nach Oaxaca, Monte Alban und Teotihuacan. Eines der erregendsten Erlebnisse war der Ausflug nach Villahermosa, von wo aus uns gegen Abend ein Zweisitzer über den von Alligatoren verseuchten Sumpf in die grandiose Mayastadt Palenque im Urwald von Chiapas flog. Wir waren dort in der feuchten Glut des August fast allein, zwischen der Pyramide der Inschriften und dem Palast mit seinem viereckigen Turm, an einem Ort, an dem Max Frisch einen Teil von Homo Faber spielen lässt.
Während eines anderen Aufenthalts in Mexico City lernte ich eine örtliche, ja südamerikanische Legende kennen, den Urbanisten, Bildhauer und Alleskönner Mathias Goeritz. Das Manifiesto de la Arquitectura Emocional hatte ihn in Mexiko und in Südamerika berühmt gemacht. Er lud mich in seine Hazienda ein. Sie lag in einem üppigen Blumenparadies im schluchtenreichen Cuernavaca, das Alexander von Humboldt die »Stadt des ewigen Frühlings« getauft hatte. Die eindrucksvollen, vielfarbigen »Torres de Satélite« hatte Goeritz gebaut, und sie waren zu einem Wahrzeichen der Hauptstadt geworden. Bestechend war, wie sich hier eine vorgegebene Zweckhaftigkeit mit absoluter Nutzlosigkeit verband.
Perspektivische Illusionen, mit der schon die manieristische Architektur das Auge in die Irre zu führen suchte, machten die Wirkung dieses Baus aus. Was Goeritz zustande gebracht hatte, ließ sich am ehesten mit Borrominis weithin bekanntem perspektivischen Korridor im römischen Palazzo Spada vergleichen. Aus der Ferne wirkten die einfachen geometrischen Formen mächtig, wie eine Abbreviatur von Manhattan. Doch sobald man sich den schmalen, schlanken Türmen näherte, fiel diese Wirkung zu einer Potemkin’schen Täuschung, einem Spiel mit Dimensionen zusammen. Aber auch die Entdeckung einer der avanciertesten Skulpturen der Zeit war ein Erlebnis. Mit seiner »Steel Structure«, die er 1952 in Mexiko errichtete, gehörte Goeritz unübersehbar zu den Pionieren einer »primary structure«, mit der bald danach Sol Le Witt, Tony Smith, Donald Judd, John McCracken oder Ronald Bladen in monumentalen Reduktionen weltweit die Suprematie des abstrakten Expressionismus zu unterhöhlen begannen. Dies
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