Mein Glueck
zweifeln, dass ich es hier mit einem außergewöhnlichen Mann zu tun hatte. Wir waren uns schnell einig, dass er an der »Hommage à D.-H. Kahnweiler« mitwirken sollte. Bald darauf erlebte ich ihn während eines Auftritts in einem übervollen Saal gegenüber der Kirche Saint-Germain-des-Prés. Er saß hinter einem Tisch. Auf diesem lag kein Manuskript. Ponge folgte immer einem ganz bestimmten Ritual. Er setzte mit zwei, drei unerwarteten, unverbundenen Sätzen ein. Dieses Spiel mit Assoziationen erinnerte an die »écriture automatique«. Anschließend reihte er die Sätze aneinander und entfernte sich schrittweise von dem, was er an den Anfang gestellt hatte. Man hatte den Eindruck, es ginge ihm darum, die Sprache mit sich selbst zu verfeinden. Es war bestechend zu erleben, wie er dabei Dinge integrierte, die ihm gerade in die Hände fielen. Das konnte ein Bleistift sein, den er aus dem Rock zog, eine Zigarette, ein Buch. Er gab die Rolle des Handwerker-Dichters, der mit seiner Ausrüstung, mit Papier und Stift, hantiert, um seine Arbeit sichtbar zu machen. Ponges Monolog kreiste ein bis zwei Stunden lang um nicht viel mehr als um einen Gegenstand im Singular, wie den Kiesel, die Garnele, den Pferdeapfel, den Teller. Dabei verfing sich der Gegenstand im Netz der Beschreibung, wurde von der Beschreibung umgarnt. Und doch hatte man das Gefühl, dass Ponge jederzeit den Ausgang aus dem Labyrinth finden könnte. Aber er wollte es nicht. Alle Gegenstände, von denen er spricht, sind Prototypen und werden dem Akzidentiellen entrissen. Es geht dabei um die Singularität der Dingwelt, eine Singularität ohne Aura. Er sprach mit Vorliebe von der »Rettung der Dinge«, auf die es ihm ankomme. In dieser Hinwendung zum »Unbedeutenden« tut Ponge seinen, wie er ihn selbst nennt, »hygienischen Seufzer«. Das anschaulichste Beispiel für dieses Vorgehen ist das Prosastück »Le savon« (»Die Seife«). Er schrieb eine erweiterte Version des Manuskripts für den Radioessay von Helmut Heißenbüttel in Stuttgart. Am 20. Januar 1965 übersandte er mir den fertigen Text, an dem er lange gearbeitet hatte: »Voici enfin Le Savon, beaucoup plus ›long‹ que je ne le prévoyais …« (»Hier aber ›Die Seife‹, viel länger, als ich es vorausgesehen habe …«) Wir fuhren zusammen nach Stuttgart zu Heißenbüttel, der sich auf diesen Besuch besonders gefreut hatte. Max Bense organisierte zusammen mit Elisabeth Walther für Ponge einen Auftritt in der Technischen Hochschule Stuttgart, an der Bense einen Lehrstuhl innehatte. Auch hier waren die Zuhörer vollkommen verblüfft von Ponges außerordentlicher Fähigkeit, einen Monolog in Gang zu halten. Kein anderer Text von Ponge stellt so ostentativ und so manifest die Bedeutungen von Dingen in Frage. Das Stück Seife, das Ponge nervös schreibend manipuliert, wird durch den Akt des Schreibens zerrieben, symbolisch verbraucht. Eine Art von Waschzwang, der sich in der Unzufriedenheit mit dem Schreiben austobt, führt dazu, dass am Ende das Seifenstück völlig verschwunden ist: Es hat sich in hundert Seiten aufgeschäumt. Lange arbeitete Ponge an diesem Manuskript. Regelmäßig zeigte er mir neue Zusätze und Veränderungen. Ich besuchte ihn in der Pariser Wohnung beim Panthéon und in seinem Häuschen in Le Bar-sur-Loup hinter Grasse an der Côte d’Azur, das, nur von einer Schlucht getrennt, dem Schloss der Poniatowskis gegenüberlag. Monique und ich waren dort seine Gäste, und wir machten Exkursionen in die Fondation Maeght und nach Grasse, der Stadt der Parfüms und der subtilen, flüchtigen Farbigkeit Fragonards. Ponges Texte entziehen das Ding seiner in Gewohnheit und gesellschaftlichen Usancen festverankerten Nützlichkeit. Insistieren, Wiederholen schleift den Gebrauchswert ab. Auch in »Die Seife« treffen wir, wie bei Don Quijotes »Helm des Mambrin«, auf den Duchamp in »Fountain« anspielt, noch einmal auf ein hygienisches Versatzstück, auf die Verlagerung des Denkens in Körperpflege. Ich konstruierte für mich einen Zusammenhang zwischen der Seife und dem Namen Ponge, der an »éponge«, »Schwamm«, denken lässt. Diese Nähe zu den Dingen passte fabelhaft zur damaligen Malerei, der Ponge mehrere seiner Texte widmete. Auf die Ponge anziehenden banalen Gegenstände und auf »niedere« Texturen treffen wir unentwegt in den Bildern eines Wols, Fautrier oder Dubuffet. Die Malerei der fünfziger und frühen sechziger Jahre, die das Verschwinden des Gegenständlichen mit
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