Mein Glueck
zu ihm erhalten würde. Und doch hat er mich empfangen, weil ihm Kahnweiler gesagt hatte: Werner Spies wird Ihnen etwas zeigen und etwas für Sie machen, was noch nie jemand gemacht hat und was Sie selbst nicht kennen. Er wird den Umfang Ihres skulpturalen, plastischen Werks zeigen. Und ich denke, das hat Picasso dann sicher ebenso interessiert wie ein neuer Haarschnitt. Auch die Festschrift für Kahnweiler, zu der er zwei Lithographien beisteuerte, änderte zunächst nichts. Ich erinnere mich an die späten sechziger Jahre, da ich in Antibes bei Jacques Prévert war, der den Sommer über in einer Wohnung an der Festungsmauer lebte. Wir sahen in einer Galerie eine kleine Ausstellung mit Keramiken von Picasso, und Prévert schlug vor, am späteren Nachmittag zusammen zu Picasso zu fahren. Er rief in Mougins an und fragte, ob er seinen Freund besuchen könne. Die Reaktion war demütigend. Er musste am Telefon Picassos Sekretär seinen Namen, einen der berühmtesten Frankreichs, buchstabieren und erhielt dann, nachdem sich dieser beim Meister erkundigt hatte, den trockenen Bescheid: »Monsieur kann Sie leider nicht empfangen.« Auch alle Versuche von Kahnweiler und Michel sowie Zette Leiris, mich einfach einmal mitzunehmen, waren erfolglos.
1966 fand im Grand Palais und im Petit Palais in Paris aus Anlass des fünfundachtzigsten Geburtstags die bisher umfangreichste und kompletteste Ausstellung Picassos statt. Im Grand Palais hingen die berühmten Bilder aus der Blauen und Rosa Periode, »Les Demoiselles d’Avignon« und die Gesamtheit dessen, was das Werk in all seinen Brüchen vorzuweisen hatte. Im Petit Palais begegnete man neben einer Auswahl aus der Graphik und dem zeichnerischen Werk dem, was ich später das bestgehütete Geheimnis der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts nannte: dem plastischen Werk, den skulptierten, modellierten und aus Fundstücken zusammengesetzten Assemblagen. Ich war sprachlos und erregt. Sofort schlug ich Kahnweiler, der früher schon einmal ein Album mit einer Auswahl von Skulpturen präsentiert hatte, sowie dem Verleger Gerd Hatje vor, doch einen umfassenden Band über diese phänomenalen Werke zu publizieren. Und ich begann laut darüber nachzudenken, wer das übernehmen sollte. Selbstverständlich nannte ich als ersten Werner Hofmann, der eine Monographie der Plastiken von Henri Laurens vorbereitete. Mich traf beinahe der Schlag, als beide sagten: »Nein, dieses Buch wirst du schreiben.« Das war eine unerwartete Herausforderung. Ich recherchierte, traf viele, die mit Picasso zusammengearbeitet hatten. Lionel Prejger hatte hier eine entscheidende Funktion. Er war zur Stelle, als sich Picasso einem völlig neuen Typus von Skulpturen zuwandte, den Klappskulpturen aus Blech, mit denen er die Darstellung des Volumens negierte. Picasso schuf Vorlagen für diese Skulpturen, die dann von Lionel Prejger in seiner Werkstatt im Maßstab eins zu eins realisiert wurden. Dabei legte Picasso, wie Lionel Prejger versicherte, größten Wert darauf, dass bei der Übertragung der Maquetten in Metall auch die kleinsten Unregelmäßigkeiten, die beim Ausschneiden des Papiers entstanden waren, erhalten blieben. In einigen Fällen, bei kleineren Formaten und wenn dünneres Blech verwendet wurde, überarbeitete Picasso die Skulpturen auch selbst, indem er mit der Zange die eine oder andere Stelle umbog. Eine Reihe von Skulpturen bemalte er anschließend. Es ging Picasso bei diesem Verfahren gewissermaßen um Arbeitszeitverkürzung. Er musste nicht mehr auf den Gießer warten, denn die Vorlagen für die Klappskulpturen, die er mit Farbe bearbeiten wollte, standen ihm sofort zur Verfügung. Dank der effizienten Arbeitsteilung konnte der Maler Picasso häufig an ein und demselben Tag auf den Bildhauer Picasso reagieren. Ich besuchte auch die Gießerei, die während des Krieges eine Reihe seiner großen Skulpturen in Bronze gegossen hatte. Die Arbeiter erzählten mir voller Stolz, dass sie damals neben den Arbeiten Picassos auch Reliefs für das Siegesmonument, an dem Monsieur Breker arbeitete, gießen durften. Sie waren überrascht über den damaligen Auftrag Picassos, war es doch die Zeit, da zahlreiche bronzene Statuen auf öffentlichen Plätzen konfisziert und eingeschmolzen wurden.
Christian Zervos öffnete mir die Archive der Cahiers d’Art , und Kahnweiler machte mir seine umfangreiche Dokumentation zugänglich und vertraute mir all das an, was er über die Entstehung der Arbeiten wusste. Er meinte
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