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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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ist? So redet Picasso, er entwickelt keine Theorien, sondern bleibt in einer außergewöhnlichen Anschaulichkeit. Das Aphoristische, Sprunghafte überwiegt. Er gibt sich ohne Distanz dem Reden hin. Keine Ironie, alles, was er tut, tut er mit Passion. Es gibt kein dümmeres, ja kein niederträchtigeres Wort als das, das Giovanni Papini in den fünfziger Jahren in seinem imaginären Interview Picasso in den Mund gelegt hatte, das Wort vom zynischen intellektuellen Clown. Es gibt wenige Dinge, die Picasso je so aufgebracht haben, wie diese verzerrte Charakterisierung.
    Immer ist Picasso darauf aus, alle Sätze optisch zu unterstreichen. Die zahllosen Gegenstände, Papiere, Fotos, die um ihn herumliegen, dienen, gleich Masken und Requisiten, der Verdeutlichung des Gesagten. Das Zeigen übernimmt zeitweise die Rolle des Sagens. Vielleicht wirken deshalb fast alle gedruckten, fugenlos zusammengesetzten Gespräche mit Picasso synthetisch. Er selbst meinte einmal: »Denen, die über mich schreiben, fehlen die Wörter, die ich beim Malen erfinde.« Es kam mir nachher vor, als seien die abertausend Gegenstände, Skizzen, die er angefertigt hat und die überall hervorschauten, Relikte solcher Gespräche, materialisierte Rede, Elemente eines Picasso-Wörterbuchs. Wörter, die zu Dingen geworden sind. Überall liegen Bestände seiner taktilen Rede. Die Finger tasten beim Reden alles ab, suchen den Widerstand und die Veränderungsmöglichkeit des Herumliegenden aufzuspüren. Viele Fotos liegen herum, ein Buch von Claude Simon aus der im Skira Verlag erschienenen Serie »Les Sentiers de la création« mit dem Titel Orion aveugle ( Der blinde Orion ), in dem sich Simon mit Diderots Lettre sur les aveugles ( Brief über die Blinden ) auseinandersetzt. Auf dem Tisch Picassos liegt also ein Text, in dem der Philosoph der Aufklärung den Vorrang des Sehens über die Erkenntnis in Frage stellt. Hat nicht Picasso in seinen Arbeiten vorgeführt, wie entschieden für ihn nicht das sichtbare, sondern das imaginierte Modell, auf das kein Auge Zugriff hat, im Vordergrund steht?
    Dann zieht Picasso lachend eine englische Karikatur hervor: Eine Gangsterbande hat Picasso gekidnappt. Der Boss sagt zu einem Kollegen: »Wir brauchen keine falschen Picassos mehr zu machen, wir haben den echten geklaut.« Den Fenstern gegenüber häufen sich Bilder. Drahtskulpturen aus den Jahren 1928 / 1929 , ja einige von ihnen baumeln an der Wand. Das ist eine Praxis, die wir aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kennen. Auch damals blieben Skulpturen nicht immer auf einem Sockel, sondern hingen neben Bildern und Zeichnungen an der Wand. Einige Arbeiten aus der Barcelona-Zeit sind so auf die Bildhaufen gestellt, dass man sie ungehindert betrachten kann. Er habe diese düsterblaue Vedute vom Fenster seines Ateliers in der Calle Riera de Sant Joan aus gemalt. »All das ist heute verschwunden. Das ganze Viertel wurde abgerissen.« Doch er habe in seinen Bildern von der Realität Barcelonas Abstand genommen. Und es stimmt, wenn wir das ins Grünliche changierende Blau dieser Bilder dem flacheren Blau der Pariser Bilder gegenüberstellen, so geht dieser Farbunterschied nicht auf die Darstellung einer anderen Stadt zurück: Das Blau ist die Psychose der Nacht und eine freie Setzung, mit seinem in tausend bunte Einzelheiten zerfasernden Schimmer ist es eine symbolische Überwindung der Wirklichkeit, ein trauriger, melancholischer Idealismus. Solche Abwendungen von der Realität begleiten das gesamte Werk. Der Kubismus wird sie auf konsequente Weise betreiben. Einen Jugendfreund, Manuel Pallares aus Barcelona, lädt Picasso jedes Jahr einmal ein, ihn in Mougins zu besuchen. Pallares erzählt ihm von der Stadt, in die Picasso wegen Franco nicht mehr reisen kann. Neben den Arbeiten aus der Barcelona-Zeit stehen zwei Matisse, darunter das radikal-schlichte Porträt »Marguerite«, das 1906/1907 entstanden ist, als Picasso an den »Demoiselles d’Avignon« arbeitete . Picasso hängt kaum ein Bild auf. Ich denke an das, was er darüber einmal zu Roland Penrose gesagt hat: »Wenn du ein Bild umbringen willst, dann kannst du nichts Besseres tun, als es prächtig an einem Nagel aufzuhängen. Wenn es schief vor dir steht, siehst du es besser.«
    Er spricht über vieles, über Michel Leiris, Éluard, Guttuso, auch über Kahnweiler, seine Distanz zum Kunsthändler, und er meint zu mir: »Sie duzen sich mit Kahnweiler – das habe ich nie gemacht.« Auf die finsteren Jahre während

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