Mein Glueck
der Besatzung bezog sich Picasso, als er mir in Mougins gestand, eigentlich habe er in seinem Leben nur mit ganz wenigen Deutschen zu tun gehabt. Er nahm selbstverständlich Kahnweiler aus und zeigte auch auf mich. Dann setzte er hinzu, doch, einen Deutschen habe er während der Zeit der Okkupation getroffen. Er habe Jentsche geheißen. Als ich verbesserte und »Jünger« sagte, antwortete er: »Vous parlez bien l’allemand!« (»Sie sprechen gut Deutsch!«) Einer der ersten Sätze des deutschen Besuchers sei gewesen: »Ich kenne Gide«, und er habe geantwortet: »Ich auch.« In diesem Stil sei es weitergegangen. Picasso legte Wert auf folgende Feststellung: »Ich hatte ihn zu empfangen. Er kam in Zivil. Doch er war nur kurze Zeit bei mir im Atelier.« Trotzdem habe Jünger ein ganzes Buch über diese Visite geschrieben. Man spürte bei Picasso noch Jahrzehnte später ein Unbehagen. Ernst Jünger, dem ich in einem Brief von diesem Gespräch berichtete, schrieb mir sofort, ich möge ihm doch darüber nähere Angaben für sein Archiv machen.
Anlass unserer Unterhaltung war selbstverständlich meine Arbeit am Œuvre-Katalog und am Text, den ich über das plastische Werk vorbereitete. Er liebte diese Art von Publikationen, da sie keine Auswahl treffen, sondern, ohne zwischen Hauptwerken und Nebenwerken zu unterscheiden, alles abbilden. Seine erste Frage war, ob ich auch die kleinen, aus Papier gerissenen Köpfchen und Figürchen aufnähme. Und er führte mich zu einem verglasten Schrank, der voll mit kleinen Skulpturen war. Die Aluminiumverschlüsse der Mineralwasserflaschen, die er während des Essens öffnete, wurden bei ihm im Handumdrehen zu winzigen Figürchen oder Tieren, die er mit den Fingern animierte. Er sagte: »Für mich ist alles wichtig. Ich kenne keinen Unterschied zwischen wichtiger und unwichtiger Beschäftigung. Was herauskommt, ist oft zufällig. Ich fange manchmal mit einem Streichholz an und mache daraus eine monumentale Skulptur.«
Wir beginnen, das Material durchzuschauen. Die erste bekannte Skulptur Picassos, die »Sitzende Frau«, steht zufällig neben uns auf einem niedrigen Tischchen. Das Kunstgeschichtliche scheint ihn wenig zu interessieren, das Kunstwissenschaftliche, die Fakten, jedoch sehr wohl. Was das Biographische, die Anekdoten angeht, so hält er dies alles für unwichtig und belanglos. Er weist mich auf die Fehler und Ungenauigkeiten hin, die in Büchern über ihn perpetuiert werden. »Das macht aber nichts. Lassen Sie diese Anekdoten. Das macht es anschaulich. Erfinden Sie selbst Geschichten dazu, und sagen Sie, ich hätte sie erzählt. Man wird es Ihnen glauben.« Hier erkennt man die Trennung, die Picasso zwischen seinem sich immer weiter entwickelnden Werk und einer schon sakrosankt gewordenen Vita zieht. Erfinden ist eines seiner Lieblingswörter – es gelte immer neue Erfindungen zu erfinden. Bei einzelnen Skulpturen will er ganz genau wissen, warum sie mir gefallen. Bei den Materialassemblagen, die er Ende der zwanziger Jahre auszuführen begann, fragt er ab: »Aus was habe ich das gemacht? Und das?« Auch im Falle der ersten Skulptur, der »Sitzenden Frau«, die im Œuvre-Verzeichnis zuallererst erscheinen sollte, erweist sich seine Erinnerung als äußerst präzis. Das Entstehungsjahr war bisher immer umstritten. Picasso ist sich völlig sicher, sie in Barcelona ausgeführt zu haben. Nur das genaue Jahr weiß er nicht mehr. Ich verweise auf die auffällige Ähnlichkeit zu dem Bild »Pierreuses au bar«, das 1902 in Barcelona entstand. In ihm taucht erstmals diese »gratige«, die aufs Plastische verweisende Modellierung auf. Picasso bestätigt diese Gleichzeitigkeit. Plötzlich erinnert er sich genau, beginnt zu erzählen, wie er als Kind zahllose Krippenfiguren modelliert habe, wie er überhaupt an allem Taktilen, Handwerklichen interessiert gewesen sei. Als Beispiel zeichnet er mir eine Erfindung auf, die er kurz nach seiner Ankunft in Paris in seinem Atelier im Bateau Lavoir machte: »Ich rauchte damals Pfeife. Meine Freunde mischten guten und schlechten Tabak. Ich wollte das nicht. So konstruierte ich mir diese Pfeife mit einem Zwillingskopf. In ein Loch stopfte ich den billigeren, ins andere den teureren Rauchtabak.« Und zum Beweis zeichnet er mir das Profil eines Kopfes, in dessen Mund jene Pfeife steckt. Sie sieht aus wie eine Syrinx aus »Daphnis und Chloé«. Picasso hängt an seinen Skulpturen fast noch mehr als an seinen Bildern. Und er hat sie fast alle bei
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