Mein Glueck
seiner Umwelt morgens im Bett. »Abends arbeite ich oft lange. Es kommt vor, dass man mich morgens gegen 11 Uhr weckt und mir Tee und Brot bringt.« Er liest, wie er erzählt, im Bett Zeitungen, sieht die Unmengen Post durch, die der Briefträger anschleppt, durchblättert Kataloge, Kunstbücher. Seit vielen Jahren antwortet er nicht mehr auf Briefe, und zwar ohne Ausnahme. Er erregt sich über die verrückten Preise seiner Bilder, von denen die Zeitungen berichten. Die Erinnerung an die schwierige Zeit nach der Ankunft in Paris tue ihm bis heute noch weh und mache ihn traurig. Er habe damals keinen Sou besessen. Diese Angst erklärt sicherlich auch, was mir später Jacqueline in einer kleinen Kammer in Mougins zeigte: Berge von Geldscheinen, die teilweise seit Jahrzehnten wertlos waren. Auch Kahnweiler oder die Abgesandten der Galerie mussten ihm immer wieder ein Köfferchen mitbringen.
Als ich ihm das Werkverzeichnis seiner Skulpturen überreiche, studiert er es lange, ernst und überwältigt. Das dauert endlos lang. Er sagt nichts. Als er alles gesehen hat, fasst er seine Erregung in einen mir unvergesslichen Satz: »Es kommt einem vor, als entdeckte man eine unbekannte Zivilisation.« Es war, als schauderte der Mann, der auszog, das Fürchten zu lernen, erstmals selbst vor der eigenen Einsamkeit. In einer Widmung ins Buch notiert er neben einer Blume und einem Faunskopf, den ein Hut bedeckt, erstmals meinen Namen als »Werner Spiès« und erklärt mir, auch sein Freund Sabartès habe sich mit solch einem Akzent geschrieben.
Die verschiedensprachigen Ausgaben der Publikation über die Skulpturen fanden große Verbreitung. Bei einem meiner Besuche in Los Angeles empfing mich David Wolper, der Chef von Warner Brothers, in seiner Villa in Beverly Hills und übergab mir ein großes Farbfoto, das ihn mit Steven Spielberg zeigte, wie sie beide mein Buch präsentieren. Wolpers ganzer Stolz war seine Sammlung von zweiundzwanzig Picasso-Skulpturen. Er wollte diese in einer Ausstellung im County-Museum unter dem Titel »The Wolper Picassos« der Öffentlichkeit präsentieren.
Mougins, das sind unvergessliche Erinnerungen. Vieles sah ich – und ich verstand es doch erst später. Man sah Picasso und sonst eigentlich nichts. Außer ihm blieb alles out of focus, irgendwie verschwommen. Jacqueline lud mich regelmäßig ein, zu ihr nach Mougins zu kommen. Nach dem Tode Picassos war es einsam um sie geworden. Unendlich viele Arbeiten waren zur Regelung des Erbes aus Mougins abgeholt worden, und dennoch wirkte das Haus noch übervoll. Das Leben erschien ihr unerträglich. Sie musste Demütigungen hinnehmen, die sie sehr verletzten. Wenn sie das Haus verließ, musste sie, solange das Inventar zusammengestellt wurde, zur Kontrolle ihre Handtasche öffnen. Einmal sagte sie mir, sie werde, wenn dies so weitergehe, bald einen Revolver mitnehmen. Sie ließ nicht viele Leute ins Haus kommen. Der Taxifahrer Nounours, der plötzlich überraschend über eine Sammlung von Zeichnungen verfügte, umschwänzelte sie. Sie begann zu trinken. Wenn man am Morgen mit ihr zusammensaß, war sie von einer Frische und Spontaneität, die ihr und dem Gast wohltaten. Später verschwand sie dann und wann, und man konnte riechen, dass sie sich den Mund mit Kölnischwasser ausgespült hatte. Das Unglück und der Schmerz haben sie nie verlassen. Sie war eine witzige und kritische Erzählerin. Sie berichtete von dem denkwürdigen Tag, da Olga, bislang die einzige legitime Madame Picasso, starb. Plötzlich seien, wie in Buster Keatons »Seven Chances«, alle früheren Freundinnen und Geliebten aufgetaucht, in der Hoffnung, Picasso werde sie heiraten. Alles drehte sich bei Jacqueline um Pablo. Sie hatte genaue Erinnerungen. Nicht zuletzt erzählte sie von den Dreharbeiten im Sommer 1955 in den Studios de la Victorine in Nizza zu »Le mystère Picasso«. Clouzot habe Picasso im brüllendheißen Aufnahmeraum fast umgebracht. Sie urteilte kritisch über diejenigen, die, wie sie meinte, nur von Picasso profitieren wollten. So habe er Berggruen hinausgeworfen, als ihm dieser zusammen mit seinem Kompagnon Perls einen ganzen Koffer mit Zeichnungen, Memorabilien und aus Papier geschnittenen Puppen aus dem Besitz von Marie-Thérèse Walter zum Signieren gebracht habe. Picasso nahm den Koffer und sagte, das alles gehöre dann wohl ihm, bestellte den Händler für den nächsten Tag und ließ ihm die Werke unsigniert zurückgeben. Man versteht, dass Berggruen in seiner
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