Mein Glueck
Rothko kennen. Dieser wohnte wie Lindner im östlichen Teil der 69. Straße, in einem Bau aus Backsteinen mit einer breiten Toreinfahrt, die oben von einem Tonnengewölbe geschlossen wurde. Die Erinnerung an den Künstler, der hinter seinen späten, dunklen Bildern wie hinter einer Wand aus abschirmendem Blei saß, bleibt von Tristesse überschattet. Auf so herzliche und informelle Art konnten nur europäische Emigranten wie Lindner und Rothko miteinander verkehren, die, ohne sich darüber zu beklagen, etwas Gemeinsames verloren hatten. In den sechziger und siebziger Jahren waren solche Begegnungen noch an der Tagesordnung. Sie gehörten zum Tiefsten und Erschütterndsten, was ein Besucher in New York miterleben konnte. Doch davon ist heute nur noch wenig in Erinnerung geblieben. Eine düstere Energie umgab die Stunden, die in Rothkos Atelier langsam, in ungewissem Warten dahingingen. Die kupferbraun und schwarz, wie mit Blut verkrusteten Tafeln an den Wänden widersprachen all dem, was man sich von einem Mann erwartete, der neben Bonnard zuvor wohl die innigsten und euphorischsten Farbakkorde hervorgebracht hatte. Ein stärkeres Glücksgefühl vermochte in den fünfziger Jahren keiner der New Yorker Maler zu vermitteln. Die farbigen Klänge versetzen den Betrachter in eine meditative Ruhe. Doch die späten Bilder wurden immer düsterer. Rothko lebte die letzten Monate, ehe er sich mit ritueller Präzision die Pulsadern aufschnitt, zurückgezogen, wie Tolstoi getrennt von der Familie, in gesuchter Einsamkeit. Das weite, hohe Atelier, das man über ein Stiegenhaus erreichte, überraschte den Besucher durch seine Kargheit. Mobiliar fehlte fast völlig. Nichts sollte hier von den Bildern ablenken. Nur ein bequemer Sessel, von dem aus der Künstler diese Bilder wie ein Hirte zu hüten und zu befragen schien, stand im weiten Raum. Hier hörte er Musik, mit Vorliebe Mozart. Und immer wieder unterbrach er eine Unterhaltung, um erneut seine Bilder zu betrachten. Das Schweigen konnte Minuten dauern. Der Besucher gewann dann den Eindruck, Rothko lasse es von den Bildern untertiteln. Er betrieb sein Metier, im Unterschied zu Pollock und dessen Gefolgsleuten, nicht, indem er auf existentielle Weise »im Bild« sein wollte. Es herrschte bei ihm so etwas wie ein Berührungsverbot, das, meilenweit entfernt vom Vitalismus der jungen New Yorker Garde, zwischen Auge und Gemälde eine Distanz aufrechterhielt. Die physische Anstrengung von Malern wie Pollock rückte, in den Worten Dore Ashtons, einer Freundin von Richard Lindner, die Arbeiten der Amerikaner im Umfeld der New Yorker Schule in die Nähe von »›real‹ work«, von »wood-chopping, sweating«. Sie wollte damit an die heroische amerikanische Pionierzeit erinnern. Dabei bezieht sich der Griff nach dem großen Format, nach einem sichtbaren, auch dem Laien vermittelbaren »Pensum« vielmehr auf die »working-class origins«. Vom Stolz auf diese Herkunft, mittels derer New York sich sehr schnell und aggressiv von europäischen Einflüssen abzunabeln versucht, ist bei den abstrakten Expressionisten regelmäßig die Rede. Verglichen mit Pollock, dessen sichtbare, handwerkliche Tätigkeit auf die Ethik der Arbeit verweist, erscheint Rothko als ein Mann der Meditation. Man sprach in diesen Jahren mit Vorliebe von Installationen, verwies auf ein malerisches Ambiente, auf das es die Künstler abgesehen hätten. Rothko wollte etwas Vergleichbares. Doch im Gespräch wurde deutlich, dass er die Emotionen, auf die es ihm ankam, nicht in einem Ausstellungsraum mit anderen Künstlern zu teilen bereit war. Deshalb agierte er mehr und mehr gegen die Präsentation von Einzelbildern, und aus diesem Grunde zog er sich auch von Aufträgen zurück, die ihn verletzen mussten, weil ihre Art der Präsentation den religiös-kontemplativen Ausdruck des Idealisten aus Manhattan nicht garantieren konnte. Er begann dafür zu sorgen, dass Museen Ensembles seiner Bilder zeigten. Es ging dabei um Polyphonie. In den Räumen, die er sich in den Museen wünschte, sollte eine Verschmelzung durch ein simultanes Betrachten der Bilder erreicht werden. So hielt er es auch im Atelier. Der Besucher tauchte hier in eine Stimmung ein. Ein einfaches helles Glasdach, eine frühere Remise, deckte den Raum. Rothko legte Wert auf offenes, unbeständiges Licht, und man versteht, wie wenig er es akzeptieren wollte, dass Philip Johnson für Houston, für seinen letzten, sakralen Bilderzyklus einen Bau vorschlug, in den eine
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