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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Lichtkanone Streulicht einfallen ließ. Rothko lehnte ab. Er wollte, wie in seinem New Yorker Atelier, nichts anderes als einen einfachen verglasten Abschluss. Er erklärte es mir: Den Verzicht auf die eine Wirkung, auf die eine richtige Beleuchtung müsse man im übertragenen Sinne, als Symbol verstehen. Er habe die Tafeln für eine ökumenische Kapelle gemalt. Sie sollten an diesem Platz zum Ausdruck bringen, dass es keine definitive Wahrheit gibt. Sie verkünden die Unmöglichkeit, ein Licht als das Licht auszugeben. Und er bewies es mir. Es dunkelte bereits, und trotzdem sollten von dem Zyklus Aufnahmen gemacht werden. Rothko schloss die Verwendung von Scheinwerfern aus. Die Tatsache, dass er mir die Bilder für Houston am Spätnachmittag, bei schwachem Tageslicht vorführte, bewies, dass es für ihn, sofern es sich um natürliches Licht handelte, nicht nur einen richtigen Moment für die Begegnung geben konnte. Irgendwie passte das mystische Testament, das Rothko Houston machte, zu ihm. Von Anfang an malte er diese Ungewissheiten. Mehr und mehr verbannte er die präzisen, erkennbaren Themen aus seinen Bildern. Er konzentrierte sich auf wenige Bildmuster, die zunächst auf Landschaftliches verwiesen. Die jeweiligen Nuancen stellten sich gegen einen Produktcharakter und gegen die Wiederholbarkeit. Die Bilder sollten sich, darum ging es im Gespräch mit ihm, nicht auf den sensualistischen Kitzel durch farbliche Akkorde stützen. Die Absage an den Hedonismus im Spätwerk erinnert an das, was zur gleichen Zeit auch Josef Albers anstrebte: Beide stellen Fragilität und Revidierbarkeit gegen feste Meinungsmanifestationen. In beiden Ateliers kam das Gespräch deshalb irgendwann auch auf den jeweils anderen. Keiner von ihnen legte seine Bilder auf ein gleichbleibendes künstliches Licht an. Beiden geht es um die Relativität des Lichts, die Indienststellung der Graduierung, die bei zusammengezogener und weit geöffneter Pupille entsteht. In Houston radikalisierte Rothko diese Dialektik des Sehens. In den Abendstunden wirkt der Raum wie von Aschenglut durchgeistert und bringt die Tafeln zum Leuchten, während der Mittagsglast die dunklen Bilder zusätzlich verdunkelt. Hier und dort, bei Albers wie bei Rothko, geht es um den Kampf gegen Rechthaberei. Das Drama, das Rothko in der Zeit, da ich ihn kannte, durchlebte, betraf den Zyklus der blauschwarzen, weitgehend monochromen Tafeln, die er für das Restaurant »Four Seasons« in Mies van der Rohes Seagram-Building gemalt hatte. Plötzlich lehnte er es ab, die Bilder dem Auftraggeber zu überlassen. Er stiftete einen Teil davon der Tate Gallery in London. Dahinter steckte nicht nur eine Hommage an das Werk Turners, das ebenfalls im Londoner Museum seine Heimstatt gefunden hatte: In der Weigerung, seine Bilder einer speisenden Klientel als Dekor preiszugeben, entlud sich ein Aufstand gegen die Konsum- und Popwelt, die das überragende amerikanische Genie der Nachkriegszeit, Warhol, mit seinen Galerien uferlos reproduzierbarer Gesichter und Suppendosen als abstoßenden Triumph der Fresssucht an den Pranger gestellt hat.
    In diesem Zusammenhang – es ging um Moral – war meine Begegnung und Freundschaft mit Richard Lindner lehrreich. Er gehörte zu den klügsten und traurigsten Menschen, die ich kennengelernt habe. Traurig nicht in dem Sinne, dass ihn Befindlichkeiten störten – er trug die stoische Trauer des Europäers, der seine Vergangenheit zurückgelassen hatte und der vor diesem Hintergrund all das, was ihm Amerika bot, hellwach und kritisch betrachtete. Er sagte mir einmal: »Ich lebe nun absolut in der Realität. Ich habe kein Verhältnis zur Vergangenheit, und ich habe auch keine Utopien. Deshalb passe ich so gut nach Amerika.« Und er fügte hinzu: »Amerika hat keine Tradition – das ist wunderbar.« Aus diesem Grunde kenne man hier auch nicht die europäische Sentimentalität. Er fand dafür die einprägsame Formel: »Die Beine einer achtzigjährigen Mistinguett bewundert niemand in Amerika.« Ich misstraute hin und wieder dieser Haltung, hielt sie für eine intellektuelle Attitüde, für ein Mittel, um den Verlust von Vergangenem erträglich zu machen. Was das Verlorene betraf, besaß er ein scharfes Bewusstsein. Wie oft sprach er von der unwiederbringlichen Schönheit Nürnbergs. Deshalb wagte er auch nicht oft zurückzuschauen. Aber dann hielt er mir wieder Ansprachen wie diese: »Im Essen bin ich immer noch Europäer. Ich jongliere mit der Vergangenheit.

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