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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Klunker, die Picasso, das zeigt das Blow-up von Blatt zu Blatt, sofort unendlich mehr interessierten als das Gesicht. Für mich war es so besehen augenfällig, dass der Künstler, als er sich an die Skulptur »Pavian mit Jungem« machte, das Gesicht Kahnweilers vor sich hatte und letztlich ihn porträtierte. Um die riesigen Ohrmuscheln des Affen darzustellen, griff er zu den Henkeln einer Tasse, die auseinandergebrochen war. Er setzte sie in den Kopf ein, den er aus zwei Spielzeugautos zusammengefügt hatte. Was mich in dieser Ansicht bestätigte, war auch, dass Kahnweiler, wie mir Claude Picasso erzählte, die beiden Autos als Geschenk mitgebracht hatte. Für den pyknischen Leib des Tiers wählte er einen keramischen Topf. Kahnweiler dozierte gerne, und dies völlig ruhig mit einer leicht singenden, fistelnden Stimme. Es konnte dabei keinen ernsthaften Widerspruch geben. Doch von seinen ehemaligen Wutausbrüchen, von der Lust, recht zu haben und die Umwelt zu dominieren, war nicht mehr viel übriggeblieben.
    Früher hatte sich alles seinen tyrannischen Regieanweisungen unterzuordnen. Jeweils am frühen Morgen soll er nach dem ersten Blick durchs Fenster bestimmt haben, was seine Frau Lucie an diesem Tag zu tragen habe. Etwas von der Manie, zu herrschen und zu erziehen, tauchte ab und zu noch wie ein Nachbeben auf. Immer spürt der Besucher, dass er der Herr war. Auch seinen Schwager konnte er wie ein halbwüchsiges, unerzogenes Familienmitglied behandeln: »Michel, lass das, spiel doch nicht mit dem Hund«, hieß es, wenn dieser beim Spaziergang durch das kleine Waldstück, das zu »Le Prieuré«, dem Landhaus in Saint-Hilaire, gehörte, der Boxerhündin etwas Lauf gab. Denn der Hund sollte doch dressiert werden. Dies schockierte mich, war für mich doch das Zusammentreffen mit Leiris eine der ersten Begegnungen mit einem Menschen, der seine Unabhängigkeit mit einem bedeutenden Werk zu begründen vermochte. Doch im nachhinein wurde mir klar, dass Kahnweiler Leiris, den Mann seiner Adoptivtochter Louise, noch ab und zu wie einen kleinen Jungen behandelte. In allem war Kahnweiler für seine Umgebung akkurat. Und es durfte keine Verschwendung geben. Nie hätte er es akzeptiert, dass ihm jemand zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken könnte, was er bereits besaß. Dabei ging es überaus diktatorisch zu. Wiederholt musste ich deshalb Schallplatten, die ich für ihn ausgewählt hatte, zum mühseligen Umtausch zurücktragen. Er war keinesfalls bereit, etwas zweimal zu bewundern. Dies galt für das große Geschenk ebenso wie für die kleine Aufmerksamkeit. Als einzige Rettung blieb nur, in einem Spezialladen nach der Aufnahme zu fragen, die eben erst ausgeliefert werden sollte. Hinter Kahnweilers genauem, pedantischem Interesse an Geschenken, einem Berg von Geschenken, steckte nicht nur ein ökonomisches Prinzip, sondern auch die Lust, Geschenke mit einer Person verbinden zu können. Die Überbringung der Gaben führte zu einem grotesken Warenhandel, einer Art von rituellem Potlatch, bei dem die Exzentrik und die Präsenz unerwarteter Dinge unglaublich komische Formen annehmen konnten. Der reizende Neffe Picassos, der Maler Javier Vilato Ruiz, hatte nach einem eigenen Entwurf eine Ablage anfertigen lassen, auf der eine verwegene Serie von Geweihen als Kleiderhaken dienen sollten. Offensichtlich hatte sich der Sohn von Picassos Schwester Lola beim Auftrag, den er vergeben hatte, von einer berühmten Skulptur des Onkels, vom »Stierschädel«, inspirieren lassen. In ihr gingen Lenkstange und Fahrradsattel jene verblüffende Metamorphose ein, die die Frage nach der Herkunft der einzelnen Teile und ihrer ursprünglichen Bedeutung nebensächlich erscheinen ließ. Kahnweiler reagierte auf dieses Geschenk mit dem Stoizismus, den er auch angesichts der Bilder zeigte, die ihm der Maler Vilato präsentierte.
    Ganz offensichtlich war der großbürgerliche wohlsituierte Status, den Michel Leiris als zur Familie Kahnweilers zugehörig genoss, nicht eben das, was ihn glücklich und frei machen konnte. Zudem hatte er sich an eine Schweigepflicht zu halten, die er sicherlich, wenn er es gewagt hätte, liebend gerne gebrochen hätte. Sie muss für ihn in den letzten Lebensjahren unerträglich gewesen sein. Denn die Bewahrung des Geheimnisses hing von ihm ab, einem Mann, der keine Lebenslüge brauchen konnte. Erst nach dem Tode Kahnweilers und nach dem seines Bruders und seiner Schwester, die ab und zu aus England oder Kalifornien

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