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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Dumas, griffbereit neben sich am Bett zu haben. Welch ein Gegensatz zu dem von Abenteuern strotzenden, brillanten André Malraux, den ich in der Umgebung von Kahnweiler gleichfalls kennenlernte und der sich in seiner opulenten Gier nach Wirkung regelrecht verzehrte.
    Irgendwie dachte ich auch bei den Begegnungen mit Henri Michaux an Leiris. Vor der Neugierde der Fotografen versteckte sich Michaux mit einigem Erfolg. Deshalb gibt es nur wenige Aufnahmen, die eine Vorstellung von dem eindrucksvollen, mit tiefblauen Pupillen inkrustierten Kopf vermitteln. Er lebte damals in der Rue Séguier bei Saint-Michel, und erst später zog er in ein helles Appartement in die Avenue de Ségur, in der Nähe der UNESCO. Was mir beim Zusammensein mit ihm in erster Linie auffiel, war die Verwendung, besser: die Verweigerung des Körpers. Etwas Ängstlich-Reserviertes sprach sich aus. Nicht von gängigen Bewegungen, von einem Aufklappen und Zuklappen der Gliedmaßen kann man bei ihm reden. Dahinter steckte etwas Lauerndes. Die physische Zurückhaltung wartete auf ihren Moment. Über sich selbst erteilte er nicht gerne Auskunft. Was ihn betraf, verkleidete er in Bilder und Gedanken, die danebenlagen. Metaphern sind selten in seiner Sprache. Metaphorisch ließe sich von ihm sagen: Auf Fußspitzen balancierte dieser Explorateur durch die Welt, und auf Wortspitzen – wäre diese Suche nach dem Unauffälligen und nach dem Verschwinden zu umschreiben – notierte er all das, was ihn herausforderte. Es ist schwer, dem Antiheroen abzunehmen, dass er die beängstigenden und unerwarteten Abenteuer auf sich nahm, von denen er in seinen Büchern berichtete. Sie scheinen zu ihm ebenso wenig zu passen wie zu Michel Leiris. Einmal meinte er im Gespräch, große Porzellane seien selten: Sie seien fragil. Ich merkte regelmäßig, dass ihn Vitalität geradezu abstieß. Wenn die Rede auf Picasso kam, brach die eigene Unfähigkeit zu leben aus ihm heraus. In dem Spanier sah er einen »mauvais garçon«, so etwas wie einen Apachen aus Barcelona. Dagegen verehrte Michaux Paul Klee, Max Ernst und dessen indirekte Techniken, vor allem die Frottagen. Als sein Werk zweigleisig wurde, begann er sich zunächst dieser Technik zuzuwenden. In Wind und Staub erleben wir mit, wie neue Wesen, neue Sprachen entstehen. Hier fand er auch die Erklärung für das beidhändige Vorgehen, für das Schreiben und das Malen. Er setzte sie dialektisch ein. In manchen Stunden meinte er, Bücher lesen sei langweilig. Denn es gebe hier keine freie Zirkulation, und er setzte hinzu: »Ganz anders das Bild: unmittelbar, total. Kein gerader Weg, tausend Wege.« Die grotesken, narrativen Elemente seiner Bücher, glaubte ich, würden nach den Mitteln einer karikierenden, chargierenden Darstellung rufen. Diese versagte er sich. Und er meinte, ihm sei es um etwas anderes gegangen: »Ich wollte das Daseinsgefühl und das Verfließen der Zeit zeichnen: Wie man sich den Puls fühlt.« Und er liebte die deutsche Romantik. Wir sahen uns zum letzten Mal wenige Wochen vor seinem Tod im Petit Palais, wo er zusammen mit seiner faszinierenden Gefährtin Micheline Phankim Koupernik eine Ausstellung deutscher Maler und Zeichner bewunderte.

    Chaval und Werner Spies

    Was mich bei Leiris erregte, war die Stellung, die er zwischen dem Glauben an den Kubismus, der Orthodoxie Kahnweilers und dessen Transgression durch den Surrealismus bezog. Davon, wie er diese Antinomie überwinden konnte, wird noch die Rede sein. Denn in gewisser Weise wurde ich selbst, durch das Zutun Kahnweilers, in dieses unversöhnliche Entweder-Oder zwischen Rationalität und Ekstase hineingezogen. Kahnweiler war zu der Zeit, das sagten mir alle, die ihn von früher her kannten, ein eher milder Mann geworden. Der Kopf mit dem ehemals vollen dunklen Haar, dem Picasso in seinem kubistischen Porträt einen zersplitterten gläsernen Klang gegeben hatte, hatte sich in eine perfekt polierte, gutmütige Kugel verwandelt. Den Schädel flankierten ungeheuer mächtige Ohren. Sie standen waagrecht ab. Ich war überzeugt, dass diese unübersehbaren symmetrischen Flügel Picasso herausgefordert hatten, als er dieses Gesicht in verschiedenen Lithographien festhielt. Er pointierte die Ohren, übertrieb sie jedoch eigentlich nicht. Sie ließen ihn nicht los. Das war typisch für sein Sehen, das sich am bezeichnenden Detail festfraß. Hier waren es die Ohrmuscheln, in anderen Fällen, den Porträtzeichnungen von Helena Rubinstein, die riesigen

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