Mein Glueck
Maldoror ( Die Gesänge des Maldoror ), bis zu seinem Tod im März 1870 die Pension in Empfang nahm, die ihm sein Vater, François Ducasse, regelmäßig aus Montevideo anwies. Kahnweiler, der Verleger von Tzaras Theaterstück Mouchoir de nuages ( Das Wolkentaschentuch ), hatte den Besuch mit dem Schriftsteller vermittelt. Tzara äußerte in unserem Gespräch den Wunsch, dass man seine Tragödie in fünfzehn Akten, die er drei Jahre nach dem noch dadaistischen Le cœur à gaz ( Das Gasherz ) geschrieben hatte, endlich ins Deutsche übersetze. Er überreichte mir ein Typoskript, in dem er die grundsätzliche dadaistische Struktur des Stücks mit Szenen aus dem elisabethanischen Theater versetzte. Tzaras reich bestückte ethnographische Sammlung in den vorderen Räumen der weitläufigen Wohnung, die einzigartigen Objekte aus der Dada-Zeit, das alles war außerordentlich. Und es war bemerkenswert, dass diesem ewigen Entdecker der Sinn auch weiterhin nur nach Neuem stand. Ihm war es zu verdanken, dass Roger Blin 1953 schließlich Becketts Warten auf Godot im Théâtre Récamier auf die Bühme brachte. Fünfunddreißig Intendanten hatten das Manuskript zuvor abgelehnt. Blins Inszenierung trieb ganze Generationen ins Wartezimmer. Jemand vom Geiste Tzaras war in der Lage, Beckett nicht nur zu verstehen, sondern sich diesen in seiner Unverständlichkeit anzueignen. Auch Max Ernst, der frühe Freund Tzaras, nannte auf meine Frage hin, was für ihn, nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, in Paris das bedeutendste kulturelle Ereignis gewesen war, ohne zu zögern, Warten auf Godot . Jene Inszenierung führte zurück zum dadaistischen Aufbruchsgedanken und dessen Revolte.
Ab Februar 1920 korrespondierten Tzara und Max Ernst. Tzara wollte immer ein Entdecker sein, und mit der gleichen Emotion wie später Aragon schilderte er den Blitzschlag, den das ungeheure Paket auslöste, das zu Beginn des Jahres 1921 mit der Post aus Köln nach Paris gelangte. Max Ernsts außerordentliche Collagen und Übermalungen von naturwissenschaftlichen Illustrationen ergriffen die Freunde, die zusammen die Sendung aus Köln öffneten, auf eine nie erlebte Art und Weise. Bereits im Mai 1921 organisierten sie in der Buchhandlung »Au Sans Pareil« in der Avenue Kléber die erste Einzelausstellung von Max Ernst. Sie galt einem jungen Deutschen, der, wie Éluard anmerkte, ihm und seinen Freunden einige Monate zuvor in Verdun noch als Feind gegenübergestanden hatte. Die Entdeckung dieser Collagen habe, so Tzara, wie kein anderes Ereignis damals Paris ergriffen: Sie habe dafür gesorgt, dass sogar der Ruhm Picabias vorübergehend überschattet wurde. Aragon erzählte mir stolz, er selbst habe die Rahmen für die Arbeiten auf Papier gefertigt, und Breton nannte seine Begegnung mit Max Ernst eine Offenbarung. Der Satz »Quand Max Ernst vint« (»Als Max Ernst kam«), den er 1928 feierlich in das Traktat Le Surréalisme et la Peinture aufnahm, hält das Ereignishafte der neuartigen Ernst’schen Bildalchimie fest, ohne die, wie Breton auch später immer wieder betonte, der Surrealismus nicht seine starke und unverwechselbare ikonographische Ausprägung gefunden hätte. Tzara besaß zahlreiche Arbeiten Max Ernsts. Alle aus einer Zeit, als diese noch verständlich, das heißt Texte und Bilder nicht voneinander getrennt waren. Als nach dem Tode Tzaras für die Auktion, die 1968 von Kornfeld in Bern organisiert wurde, die Nachlassverwalter eine Reihe von Texten und Motiven auseinanderrissen, begann damit das Desaster. Alles, was bildhaft war und damit als profitabel galt, wurde gesondert versteigert. Die außergewöhnlichen Bildlegenden, oftmals Gedichte, wurden, weil man sie zu jener Zeit noch für nichtig hielt, aussortiert und zusammen mit Dokumenten und Zeitungsausschnitten an die Pariser Bibliothèque littéraire Jacques Doucet an der Place du Panthéon gegeben. Dieser Frevel entspach ganz der damals einsetzenden Musealisierung des Dada. Was Max Ernst betraf, so rückten dabei, wie es die erste historische Dada-Ausstellung in Paris zeigte, fast nur die Werke in den Vordergrund und nicht der provokante Geist der Titel. Ohne Titel wirkten die Collagen wie behindert. Denn Max Ernst lieferte wunderbare Beispiele für die Untrennbarkeit von Poesie und Bild: »Laokoon und Söhne können nach ihrem jahrtausendelangen Kampf mit der Klapperschlange endlich austreten.« Dieser Titel ist wie ein Schlüssel zum Inhalt des ihm angehörigen Bildes, welcher
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