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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Rendezvous mit einem Mädchen aus der Parallelklasse. Nachts kletterte er an einer Fahnenstange in den zweiten Stock zurück. Auf frischer Tat ertappt, wurde er von einem Tag auf den anderen vom Vorsteher aus dem Konvikt geworfen. Das brachte ihn seiner Liebe näher. Er fand ein Zimmer im Nebenhaus, in dem Sieglinde lebte. Nach dem Abitur studierte er an der Musikhochschule in Stuttgart und wurde später Dirigent. ß holte ihn bald als Assistent zu sich an die Wiener Oper. Als ich wenige Jahre später, im Januar 1964 , von Kurt Hübner und Peter Zadek eingeladen wurde, als Chefdramaturg ans berühmte Bremer Theater zu kommen, schlug ich dieses Angebot zwar aus, konnte den beiden aber, da sie auch auf der Suche nach einem Generalmusikdirektor waren, meinen Freund Hermann Michael empfehlen. Siegfried Melchinger war es, der die Bremer auf mich aufmerksam gemacht hatte, worauf Hübner mich im November 1963 in Paris besuchte. Dass sich die beiden wirklich an mich wandten, war der Tatsache geschuldet, dass ich in diesen Jahren in Paris Marguerite Duras’ Des journées entières dans les arbres ( Ganze Tage in den Bäumen ) übersetzt hatte und mit einer Reihe von Autoren wie Beckett, Audiberti, Ionesco, Jean Tardieu oder René de Obaldia in engem Kontakt stand. Auch ließ ich damals so gut wie keine Premiere aus und verfolgte gespannt die kulturelle Öffnung, die das Théâtre des Nations im Hause von Barrault am Luxembourg für Frankreich bedeutete. Sicher war dieser Ort, der das Theater der ganzen Welt auf seine Bühne holen wollte, auch ein Ort der kosmopolitischen Illusion. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit dem Kulturminister aus Mali, der eine Gruppe von Tänzern begleitete. Ich fragte ihn, ob das, was wir hier als folkloristische Darbietung erleben durften, wirklich den heimischen Tänzen und Traditionen entsprach. Der Minister antwortete voller Stolz, die Choreographie sei einzig für den Auftritt in Paris erdacht worden. Ein französischer Berater habe das Spektakel ersonnen und eingeübt. Er sehe dergleichen auch zum ersten Mal. Und weil es in Europa gut ankomme, wolle man damit auf Tournee gehen. Hermann Michael blieb schließlich lange Jahre in Bremen, ehe er Professor an der Musikhochschule in München wurde und dann eine Karriere als Dirigent in Italien und in den USA aufnahm. Bis zu seinem frühen Tod dirigierte er immer wieder an der Met und leitete das Symphonieorchester in Phoenix, Arizona.
    Es war vor allem die französische Literatur, die mich in der Rottweiler Zeit anzog. Ich lernte Offiziere kennen, die zur Garnison der Besatzungstruppen gehörten. Sie besorgten mir, wozu ich selbst kein Recht hatte, auf der Offiziersmesse französische Bücher. Auf diese Weise erwarb ich eine Reihe von Ausgaben der »Collection blanche« von Gallimard. Es bleibt mir unvergessen, wie ich die ersten Bände mit ihren cremefarbenen Umschlägen in Händen hielt, deren einfache, unwandelbare schwarze Schrift stets eine dünne rote Linie rahmte. Etwas von der unerklärlichen Faszination, mit der ich in meiner Sammlung vor exotischen Briefmarken saß, mischte sich in diese Begegnung. Später fiel für mich das schmale rote Band mehr und mehr mit der Erregung zusammen, in die mich Pétrus Borels Abenteuer eines deutschen Studenten versetzt hatte, wo dieser schildert, wie er auf eine nackte weibliche Leiche trifft, die als einzigen Schmuck um den weißen Hals eine winzige rote Schnur trägt: den Schnitt der Guillotine. Revolution und Literatur gingen für mich im Design dieses Umschlags eine unzertrennliche Verbindung ein. Unter den Büchern, die ich entdeckte, waren auch Texte von Michel Butor und Nathalie Sarraute. In ihnen begegnete ich der kalten, oft ätzenden Darstellung einer Gegenwelt. Sie beschäftigte mich und verdrängte schließlich unabwendbar den Rest meiner unterwürfigen Abhängigkeit von Ernst Wiechert, auf den ich mich in meiner Facharbeit vor dem Abitur noch einmal begeistert gestürzt hatte. Ein Erinnerungsbuch wie Wälder und Menschen , das ich, trunken von den Jeromin-Kindern und Missa sine Nomine , die beide in der bäuerlichen Wildnis der Masuren spielen, als Thema für meine umfangreiche Facharbeit gewählt hatte, sorgte dafür, dass ich erneut einer Schwärmerei zu verfallen drohte. Unter dem Titel »Die Wirkung der heimatlichen Landschaft auf Ernst Wiechert« schrieb ich über »Unerforschlichkeit der Landschaft«, »Düsterkeit und Schwermut«, »›Gegenstandslose‹ Sehnsucht«, »Verbannung

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