Mein Glueck
aufzudrängen suchte. Marguerite Duras, Michel Butor, Claude Simon – alle nahm ich mit, um sie mit diesem irrationalen Fieber zu infizieren. Und ich stellte fest, dass diese Orte für Franzosen eine überraschende und überwältigende Entdeckung waren. Weiter konnte man sie nicht vom Klassizismus der eigenen, großartig ponderierten Architektur, von Racine und Corneille entfernen. Mit Marguerite Duras machte ich bei einem solchen Ausflug auf die Schwäbische Alb eine bizarre, ärgerliche Erfahrung. Sie wollte auf Teufel komm raus nicht akzeptieren, dass in den weißen, sauberen, mit Blumen geschmückten Häusern und Höfen wirklich Bauern lebten. Sie tolerierte es nicht, weil es nicht ins Klischee ihrer Vorstellung vom Klassenkampf passte. Sie meinte, ich führe sie in ein potemkinsches Revier, das nur errichtet worden sei, um vor Gästen die Überlegenheit des Kapitalismus demonstrieren zu können. Auch sonst war es nicht immer einfach, sich gegen ihre Voreingenommenheit zu wehren. Zu einem Eklat führte dies, als sie in Stuttgart bei einem Auftritt im Institut Français unerwartet und verächtlichst über de Gaulle herfiel. Dies zwang den Generalkonsul und den Direktor des Instituts, den Saal zu verlassen.
Mein Vater war der älteste Sohn der Familie. Ihm stand zu, den Hof zu übernehmen und zu führen. Mein Großvater stellte ihn eines Tages vor die entscheidende Wahl, wobei er ihm erklärte, dass er zu »gering«, zu schwächlich sei, um Bauer zu werden. Sollte der Sohn jedoch unbedingt das Erstgeburtsrecht in Anspruch nehmen wollen, so könne er nichts dagegen tun. Er kam ihm mit einem verlockenden Angebot: »Wenn du nicht Bauer wirst, gehst du aufs Lehrerseminar, und wir fahren nach Ulm und kaufen dir ein Klavier.« Die Wahl fiel dem Sohn nicht schwer. Er und der Vater fuhren auf ihren Hochrädern in die Stadt, um das schwere nussbraune Klavier auszusuchen, mit dem dann die ganze Familie aufgewachsen ist. So musste mein Vater sich auch nicht um den Betrieb kümmern, den die Familie in Ertingen neben der Landwirtschaft aufgebaut hatte. Sie entwickelte und konstruierte Güllepumpen, die lange Zeit reißenden Absatz fanden. Ganze Schiffsladungen sollen vor dem Krieg die Donau hinab nach Rumänien, zu den Banater Schwaben gelangt sein. Doch der Großvater, der Fabrikant, war stur und keineswegs dazu bereit, mit der Zeit zu gehen und bei seinem Produkt auf die Verwendung von Holz zu verzichten. Für nichts auf der Welt hätte er auf das zukunftsreiche Metall umgestellt. Er führte mich voller Stolz in die Werkstatt, erklärte mir, wie eine Drehbank funktioniert. Er liebte das Material Holz, seinen Geruch, und ich erinnere mich noch, wie er eine herrlich gearbeitete dunkel gebeizte Pumpe – es war wohl eine der letzten, für die es in den frühen fünfziger Jahren überhaupt noch Abnehmer gab – wie eine wertvolle Stradivari bewunderte und streichelte. Die Kinder der Familie Spies in Ertingen übernahmen den Bauernhof, machten gute Partien, studierten, wurden Lehrer oder auch Ordensschwester. Einer, Onkel Hermann, der als Benediktiner Eberhard Missionsbischof in Ostafrika wurde, war mir ein richtiger Freund. Mein Vater empfand unendlichen Stolz für den Bruder, der einmal zu Besuch nach Rottenburg kam. Er wollte, dass er mit ihm durch die Stadt ginge, natürlich ohne Mantel, damit jeder das Violett seines bischöflichen Talars sehen konnte. Es war etwas kühl an diesem Tag, und ich schlug vor, dass der Onkel lieber einen Mantel tragen sollte, was sein Bischofsgewand mit den rotvioletten Borten versteckt hätte. Man kann sich vorstellen, wie wütend der Vater über diese gemeine Sabotage war. Sein Bruder war zusammen mit einem afrikanischen Sekretär angereist, der die deutsche Sprache blendend beherrschte. Die Stiefmutter konnte gar nicht genug davon bekommen, ihm ständig durch das Kraushaar zu fahren, ihn zu streicheln und sich über diese ungewohnte Haarpracht zu freuen. Bischof Eberhard war liberal und ein bedeutender Theologe und Philosoph. Er hatte eine Dissertation über Kant geschrieben. Dem Leben in Afrika, in einer feindlichen und grausamen Natur, verdankte er eine Freiheit, die hierzulande ungewohnt war. Immer wieder erhielt ich Post von ihm. In einem der Briefe schrieb er: »Der Konviktist wird jetzt auch Ferien haben und den ganzen Tag mit dem Rosenkranz herumlaufen. Mein lieber Werner, sei nur froh, dass Du nicht in mein Seminar gehörst, da würdest Du ganz anders gestriegelt als in Rottweil.«
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