Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
also auch mal die Bänke abwischen und so, bisschen saubermachen halt, geht ganz flott, keine große Aktion, alle zwei Tage reicht, ist ja eh kaum einer dort im Moment.« Die Worte sprudelten aus ihm heraus, als hätte jemand eine Schleuse geöffnet. Stefan schielte ängstlich zur Tür, denn auf dem Gang draußen war der dröhnende Bass des Yetis zu hören. Er flirtete offenbar mit einer Krankenschwester.
»Und immer mal Nachschub bestellen, an Shakes und Riegeln, das siehst du ja, wenn sie alle sind. Die bestelle ich immer im Großhandel, weißt du ja noch von deinem Teeladen alles, die Listen sind in dem kleinen Zimmer neben dem Verkaufstresen, kennst dich ja aus.«
Wanda hob abwehrend ihre Hände. »Halt, halt, nicht so schnell. Ich kenn mich aus? Stefan, ich war einmal in deiner Muckibude. Zweimal, wenn’s hochkommt. Ich weiß nicht mal, wo das Klo ist. Und was für Shakes? Was für Riegel?« Ihre Stimme bekam einen hysterischen Beiklang.
»Eiweißshakes. Ist überhaupt kein Problem, Mama. Es gibt nur drei Sorten. Sind gar nicht so schlecht. Du kannst sie natürlich jederzeit kosten«, fügte er gönnerhaft hinzu. Als er jedoch ihren entsetzten Gesichtsausdruck sah, machte er eine Hundertachtzig-Grad-Wende. »Oder auch nicht. Ganz wie du willst. Du kannst auf deinem Morgenspaziergang aufschließen, so gegen 10.00 Uhr, dann abends wischst du mal schnell durch, zählst die Riegel und so weiter, machst die Kasse, guckst, dass alle ihren Monatsbeitrag bezahlt haben, schließt ab, Bingo. Den Rest macht Enrico.«
»Enrico. Ich denke, der arbeitet nicht dort?«
»Tut er auch nicht. Aber er hat mir versprochen, dass er mir helfen wird. Der ist doch eh arbeitslos, da hat er wenigstens was zu tun. Der kümmert sich um die Maschinen und Geräte und alles.«
»Und warum, bitte schön, kann Enrico nicht auch wischen und Riegel zählen und aufschließen?«
»Weil er … Also ich will ihm nicht den Schlüssel geben und Saubermachen kennt er nur vom Hörensagen und …« Stefan vermied es, sie anzusehen.
»Du willst ihn nicht an die Kasse lassen, stimmt’s?«
»Na ja, er ist notorisch blank, weißt du ja.«
»Nein, weiß ich nicht. Ich kenne diesen Enrico ja kaum.« Wanda schüttelte den Kopf. »Stefan, wie stellst du dir das denn vor? Wenn das Herkules ohnehin nicht so gut besucht ist, dann musst du eben zwei Monate wegen Krankheit schließen. Machen andere doch auch.« Und was ist überhaupt mit mir?, meldete sich eine vorlaute Stimme in ihrem Kopf. Was ist mit meiner Reise? Ich habe auch Rechte!
Er sah sie an, und zu ihrer Bestürzung entdeckte sie Tränen in seinen Augen. »Mama, wenn ich den Laden zwei Monate zumache, dann laufen mir die letzten Kunden auch noch weg. Dann habe ich überhaupt keine Einnahmen mehr und kann nicht mal mehr die Miete zahlen. Dann ist Schluss, verstehst du? Schluss, aus, finito. Dann kann ich Konkurs anmelden.«
Die Tür schwang mit lautem Knall auf, und der Bärtige erschien, er balancierte vorsichtig drei Plastikbecher in der Hand. Ein Teil des Kaffees lief bereits in langen Rinnsalen die Plastikrillen entlang und tropfte auf den Boden.
»Hier«, sagte er stolz. »Schwarz mit Zucker für Sie und nur mit Milch für Old Gipsbein, stimmt’s?«
Wanda entging nicht, wie Stefan für den Bruchteil einer Sekunde entnervt die Augen schloss, um sie dann ergeben wieder zu öffnen, das lauwarme Gebräu in Empfang zu nehmen und sich auf ein zweimonatiges Martyrium aus juckendem Gips, Schmerz verursachenden Metallschrauben, schlechtem Kaffee und lästigen Besuchern einzustellen. In diesem Moment wusste sie, dass sie gar keine Wahl hatte. Ich würde alles für meine Kinder tun – wie oft warf man als Mutter mit diesem Satz um sich, ohne wirklich zu begreifen, was man da sagte. Nun, hier war die Gelegenheit, alles zu tun. Das klebrige Band der Mutterliebe ließ sich nun mal nicht so einfach abschütteln. Sie betrachtete Stefans verschwitzte Haare, sein trauriges Gesicht, das Stillleben mit Weintrauben an der Wand, auf das er die nächsten Wochen gezwungenermaßen würde blicken müssen, und schob den Becher mit der pechschwarzen Brühe unauffällig zur Seite. Ihr Blick fiel auf ein Surfmagazin, das auf dem Nachttisch lag. Eine halbseitige Anzeige lockte dort mit dem Surferparadies Australien, wo braungebrannte junge Menschen mit sonnengebleichten Haaren auf meterhohen Wellen ritten und ein Cartoon-Känguru dem Leser einladend zuwinkte. Blödes Vieh.
»Also gut, wo ist der Schlüssel?«,
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