Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
war die Gelegenheit. Was hatte Stefan über den Muskelabbau alter Leute gesagt? Acht Kilo konnte sie ja wohl noch heben, das waren ja nicht mal zwei Wischeimer. Und in Australien würde sie eine gute Kondition brauchen. Entschlossen griff Wanda nach der Eisenstange und hob sie hoch. Na bitte! Ging doch. Für den Bruchteil einer Sekunde gab sie sich der Illusion hin, Kraft zu haben, doch schon im nächsten Moment brannten ihre Arme wie Feuer. Sie ließ sie sinken, rutschte aber mit der idiotischen Stange an der Ablagevorrichtung ab und konnte gerade noch rechtzeitig ein Unglück verhindern. »Au! Verdammt!«, fluchte sie. Nun lag die Stange quer über ihrer Brust, Wandas Arme wurden nach hinten gepresst, der Rock war unanständig weit hoch gerutscht, sodass ihre Miederhose zu sehen war. Als hätte man Wanda ans Kreuz genagelt. Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann dämmerte es ihr: Sie konnte die Stange alleine nicht hochheben, sie steckte unter diesem guillotineartigen Ding fest. Gefangen, wie ein gottverdammter aufgespießter Schmetterling.
6 Miles, wie Miles Davis
»Siebenundvierzig Minuten?« Biggi verzog erschrocken das Gesicht. »Und erst dann ist einer gekommen?«
Wanda goss sich mit zittrigen Händen noch einen Schuss Rum in den abendlichen Tee. Ihre Arme fühlten sich seit dem unglückseligen Vorfall vor ein paar Tagen völlig kraftlos an und schmerzten bei jeder Bewegung. »Und der hat mich nicht mal gleich gesehen. Er ist sofort in den Umkleideraum gerannt. Ich hab mir fast die Seele aus dem Leib gebrüllt.«
»O Gott. Du Arme. Der hätte gleich einen Arzt rufen sollen. Was hat er denn gesagt, als er dich endlich entdeckt hat?«
Wanda sah Biggi nicht an. »Er hat gelacht.«
»Er hat gelacht? Das ist ja wohl der Gipfel. Was ist denn das für ein komischer Laden dort? Die solltest du verklagen!«
»Biggi, das ist Stefans Business. Ich verklage doch nicht meinen eigenen Sohn. Außerdem war es meine Schuld. Was muss ich alte Schachtel mich auch unter so ein Ding legen? Geschieht mir ganz recht.« Wanda trank einen Schluck. Der starke Rum nahm ihr einen Moment lang fast den Atem. Am meisten ärgerte sie sich über sich selbst. Was war nur in sie gefahren? Immer wieder tauchte das belustigte Gesicht des jungen Mannes vor ihren Augen auf, der sie endlich von dieser Tortur erlöst hatte. Immer wieder hörte sie sein entgeistertes: »Na, Sie machen vielleicht Sachen!« Obwohl, so blutjung wie der Rest der Bande dort war der gar nicht mehr. Jedenfalls nicht so ein alberner Bubi wie dieser Matti. Mitte, Ende vierzig. Ein Alter, in dem man sich tagsüber eigentlich vernünftigeren Dingen widmen sollte. Auch wenn Wanda natürlich in einer Ecke ihres Verstandes zugeben musste, dass er sie dann nicht hätte befreien können.
»Er war ganz nett. Der einzige Gentleman in diesem Haufen. Hat mir danach noch einige der Maschinen erklärt und sogar versucht, diesen unmöglichen Menschen, diesen Enrico, zu erreichen. Aber der ist wie vom Erdboden verschluckt. Stefan kann ihn auch nicht finden. Er ist irgendwohin abgehauen. Was bedeutet, dass ich mir die Reise mit Bertram abschminken kann und von jetzt an meine Tage zwischen polternden Hanteln verbringen werde.« Wanda rutschte die Tasse aus der zitternden Hand und krachte auf den kleinen Untersetzer. Tee schwappte über. Sie wischte sich eine winzige Träne aus dem Augenwinkel. Es war einfach nicht fair, verdammt noch mal.
»Du Arme.« Biggi betrachtete sie mitleidig, wenn auch mit einem kleinen Schuss Genugtuung, so kam es Wanda zumindest vor. Als sie Biggi von Bertrams Angebot berichtet hatte, war Biggis Gesicht sekundenlang zusammengerutscht wie ein misslungenes Soufflé und hatte Wanda einen kurzen, aber ausreichenden Einblick in das geboten, was in diesem Moment in Biggis Kopf vor sich ging, nämlich: Warum fragt dieser Dr. Bertram nicht mich? Mich Schmetterling? Ich habe keinen lästigen Sohn, der sich alle naselang die Knochen bricht, dafür eine exzellente Auswahl schicker Outfits für jede Gelegenheit, auch im Ausland!
»Warum kann das eigentlich nicht deine Tochter machen, die Franziska?« Biggi riss Wanda aus ihren Gedanken.
»Weil sie arbeiten muss. Sie kann ja nicht einfach Urlaub machen oder alle paar Stunden verschwinden, um durch die halbe Stadt ins Herkules zu fahren.« Wanda fand, dass Biggi manchmal echt nicht mitdachte, auch wenn sie sich selbst über Franziskas mangelnde Einsatzfreude ärgerte. Nur weil man Rentner war, schien alle Welt zu
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