Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
Typ darunter. »Jetzt heb doch mal einer den Deckel hoch.«
Wanda und Biggi tauschten einen kurzen Blick, packten den Deckel an und zerrten so lange erfolglos daran herum, bis Biggi kapierte, dass der Deckel nicht mehr anzuklappen, sondern nur noch senkrecht hochzuheben ging, weil er sich nämlich vollständig gelöst hatte. Wanda hätte im Nachhinein nicht mehr zu sagen vermocht, wie sie beide es fertiggebracht hatten, den dämlichen Deckel hochzustemmen, aber irgendwie gelang es ihnen.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragte Wanda erschrocken, als der nackte, kleine Mann aus der Sonnenbank herauskroch wie eine Schnecke aus dem Salatkopf.
Der Mann blinzelte sie benommen aus weißen Eulenaugen an, die kleine UV -Brille hoch auf die Stirn geschoben. Der Rest seines Gesichts und Körpers war mit einem rötlichen Schimmer überzogen. Wenn Wanda ganz ehrlich war, sah er farblich jetzt fast besser aus.
»Geht schon«, murmelte er. »Aber das Ding ist im Eimer, das müssen Sie entsorgen.« Er betrachtete sich blinzelnd im Spiegel. »Mann, wie ich aussehe.«
Biggi wandte sich diskret ab.
»Sie haben recht«, stimmte Wanda entschlossen zu. »Das Ding muss raus.« Und nicht nur das Ding, dachte sie. Alles in diesem Laden musste irgendwie überholt werden. Besser organisiert werden. Schon diese ganze tote Zeit – bis nachmittags um 17.00 Uhr kam quasi keiner hier rein. Was für eine Verschwendung! Und dann, als der Mann, Gott sei Dank ohne mit dem Rechtsanwalt zu drohen, verschwunden war und Biggi sich endlich zu lachen traute und Wanda fragte, ob es hier auch ein paar vernünftige Männer gab oder nur so komische Typen, vielleicht sogar jemanden in Biggis Alter, da fügten sich auf einmal einige – auf den ersten Blick zusammenhanglose – Gedanken wie die letzten Teile eines Puzzles in Wandas Kopf zusammen.
Da war Herr Gilder, der vom Arzt Sport verordnet bekommen hatte und für den Wanda sich jetzt irgendwie verantwortlich fühlte. Da war die gähnende Leere tagsüber im Herkules . Der »Rentnertag« beim Friseur da drüben, bei dem sich die grauhaarige Kundschaft bald auf die Füße trat. Sie selbst, Wanda, die große Worte vom Muskelaufbau schwang und »ihr« Fitnessstudio verteidigte, obwohl sie sich doch selber aus Angst vor einer erneuten Blamage nicht an die komischen Geräte traute. Und nicht zuletzt war da Biggi, der zweiundsechzigjährige Schmetterling, der in allen möglichen Kursen herumhopste, immer wieder in der Hoffnung, einen fitten Senioren kennenzulernen. Und neuerdings wollte sie auch noch für ihre Jugendliebe abnehmen!
»Biggi«, sagte Wanda langsam. »Ich glaube, ich habe da eine Idee.«
9 Schnupperangebot
»Mama? Wo steckst du denn? Mein Gott, diese ganzen blöden Teile. Pass auf, dass du nichts umschmeißt, Norbi.«
Franziska kam ins Herkules . Sogar früher als erwartet. Vor Franziska würde Wanda ihre geniale Idee Biggi nicht auseinandersetzen. Wenn Franziska davon erfuhr, würde sie lachen oder alles mit einer vernichtenden Bemerkung abschmettern, und auf Norberts Kommentar konnte Wanda gleich ganz verzichten.
»Ach, da seid ihr ja. Hallo, Biggi. Das ist Norbi, kennt ihr euch?« Franziska stand jetzt vor ihnen, an ihrer Seite Norbert, der ängstlich vor einer Metallstange in Deckung ging, die neben ihm pendelte. Er nickte Biggi zu und reichte erst ihr und dann Wanda seine schlaffe Hand. Wie ein Stück kalte Leber, dachte Wanda und schämte sich sofort. Franziska liebte diesen Mann eben, er war ihr Prinz, auch wenn er mehr wie ein Frosch aussah.
»Ist doch kein Mensch hier, warum machst du nicht zu?« Franziska sah sich um.
»Ist auch Stromverschwendung«, bemerkte Norbert.
»Wenn ich zumache, kann ja erst recht keiner reinkommen«, erklärte Wanda. »Aber sei doch froh, da habt ihr ein bisschen Ruhe. Was meinst du, wie hier sonst die Musik wummert.«
»Eben habt ihr was verpasst.« Biggi kicherte immer noch leise vor sich hin. »Deine Mutter hat einen Mann in der Sonnenbank eingequetscht.«
»Absichtlich?« Franziskas Augen weiteten sich.
»Natürlich nicht absichtlich, also was denkst du denn von mir?«
»Na komm, möglich ist alles bei dir. Als Kind hast du mich mal in die Speisekammer gesperrt.«
»Was?«, rief Norbert bestürzt und schlang seinen Arm beschützend um Franziska.
»Eine Sekunde lang! Als Abschreckung, weil du so frech warst. Und du hast nicht mal was gesagt. Du hast Äpfel gegessen.« Wanda musste gegen ihren Willen bei der Erinnerung daran lachen. »Sie
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