Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
Bombenentschärfer gleich, Ritschie näherte, ihn behutsam antippte, leicht zurückwich und auf ihn einredete. Und dann geschah das Unglaubliche: Ritschie stand auf und hieb anerkennend seine massige Hand auf die Schulter des älteren Mannes, als wolle er ihn in den Linoleumboden rammen.
»Jetzt drückt er ihn auch noch ans Herz«, sagte Marianne ergriffen. »Das ist ja …«
»… generationsübergreifend«, sagte Wanda langsam. Der Tag wurde immer besser. Sie nickte Marianne zu und ging hinter den Tresen, dort hatte sie seit neuestem den Computer stehen. Vielleicht sollte sie noch schnell bei Facebook posten, dass einige der Zwerge schon glückliche Besitzer gefunden hatten. Die Nachfrage ein bisschen anstacheln. Sie loggte sich flink ein, akzeptierte neun wildfremde Menschen als Freunde, lud ein Foto von dem Zwerg mit der Schaufel hoch, der nun bei Herrn Gilder im Garten stand und den er gleich fotografiert hatte, und schrieb: Letzte Chance auf einen unserer tollen Gewinne! Nur noch wenige Exemplare vorrätig! Sie kicherte so laut vor sich hin, dass Marianne verwundert aus der Umkleide »Ist was?« herüberrief.
»Nichts.« Oder doch – Wasserflaschen und Solariums-Gutscheine, das war gestern, Planet of Fitness , wir sind nämlich nicht zu unterschätzen. Ha! Zufrieden lehnte sie sich gegen den Tresen. Sie stutzte. Sieh an, Bertram hatte ihr eine E-Mail geschrieben.
G’day, Wanda! Bin gut angekommen, auch wenn ich mich auf dem nicht enden wollenden Flug so manches Mal gefragt habe, warum so ein alter Zausel wie ich unbedingt noch um die halbe Welt reisen muss. Mit dir an meiner Seite wäre der Flug sicher kurzweiliger geworden. Aber nun bin ich endlich da, habe mein Hotel gefunden, einen Abstecher zum Bondi Beach gemacht, herrliche Riesenkrabben gegessen (sie sahen fast aus wie Cousins der HeuschreckenJ), und morgen geht es weiter in die Blue Mountains. Wish you were here! B.
Er hatte ein kleines Foto angehängt, das ihn mit einem australischen Kakadu-Hut zeigte. Bertram stand neben einer exotischen Pflanze, das Meer im Hintergrund. Doch diesmal verspürte Wanda keine Wehmut. Ihr Leben war gut, so wie es gerade war.
Und schon kam eine zweite E-Mail, wie auf Bestellung. Von E. Saalbach. Nanu, Ecki? Sie öffnete die Mail und auch die beiden Anhänge. Der erste war ein Bauplan. Der Innenhof, wie er aussehen könnte, wenn sie Ecki loslegen ließ. »Perfekt«, flüsterte sie beeindruckt. Da der Innenhof zum Herkules gehörte und »den Geschäftsbedürfnissen entsprechend« verändert werden durfte und, abgesehen von den Motorrädern, fast leer war, musste Ecki gar nicht so viel umbauen. Ein bisschen Rasen hier, ein bisschen Kies dort, ein bisschen Wasser da – fertig war die perfekte kleine Oase. Er war ein Genie.
Der zweite Anhang war die Buchung eines Hotelzimmers im Fürstenhof in Kempten. Ein Doppelzimmer. In der E-Mail stand: Das war als einziges noch frei – ist das okay? »Perfekt«, flüsterte Wanda wieder. Aber diesmal nur ganz leise. Und dann noch leiser: »Sorry, Gerd.«
Drei Tage später saß sie neben Ecki im Auto und versuchte, den Faden nicht zu verlieren.
»… und an der Fassade hat er dieses dunkle, reflektierende Material eingesetzt, in dem sich die Umgebung spiegelt, Bäume und so weiter. Darauf muss man erst mal kommen. Er setzt das Gebäude mitten in die Stadt, holt sich aber quasi die Natur über das Material zurück, unglaublich. Wenn du mal gucken willst.« Ecki wandte den Blick in Sekundenabständen von der Straße ab und drückte unter dem Steuerrad auf seinem Handy herum, bis er das gewünschte Foto fand. »Hier.«
Wanda betrachtete das Foto eines klotzigen, düsteren Baus irgendwo in einer deutschen Großstadt, in dessen Fassade sich ein einsamer Baum spiegelte. Den Namen des Architekten hatte sie schon wieder vergessen, weil sich in ihrem Kopf bereits mindestens siebenunddreißig andere Bauwerke und ihre Schöpfer mit Namen und Vornamen tummelten, die allesamt in den letzten Stunden auf sie eingeprasselt waren.
»Toll«, sagte sie vage und reichte Ecki das Handy zurück.
»Wenn du dagegen Le Corbusier nimmst, mit seinem dysfunktionalen Funktionalismus …« Ecki schnaubte verächtlich. »Katastrophe. Der hat ganze Städte in England mit seinen Monstrositäten versaut.« Er hielt quietschend an einer Ampel an. »Wohin müssen wir genau?«
»Klinikum Kempten heißt das«, antwortete Wanda, froh über die Unterbrechung. Sie sah auf ihren Zettel. »Da macht er die Reha,
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