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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Nacht nicht hinunter, um ihm einen Geldschein zu geben, damit er sich entfernte, er störte nicht und machte auch keinen Lärm, ich konnte ihn nicht kaufen, er tat nichts, er schaute nur nach oben unter dem Regen mit seinem Hut, zu unserem Schlafzimmer, dessen Inneres er aufgrund der Höhe nicht sehen konnte, nur das Licht vielleicht, das nicht mehr brannte, Luisa hatte es ausgemacht, während ich sie anlog und die Außenwelt beobachtete, ohne die Welt zu begehren, meine Welt ist mein geteiltes Kissen, seit ich geheiratet habe und vielleicht auch vorher, vielleicht war jemand in dieser Welt oder auf diesem Kissen gewesen in meiner Abwesenheit, jemand, der vielleicht imstande war, die Bereitschaft und die Absicht entstehen zu lassen.
    Der Gedanke entsetzte mich, und ich wollte ihn nicht denken, das Geheimnis, das nicht mitgeteilt wird, tut niemandem weh, wenn du einmal Geheimnisse hast oder sie jetzt schon hast, dann erzähl sie ihr nicht, hatte mein Vater mir gesagt, nachdem er zu mir gesagt hatte: und was jetzt, was jetzt; ihre wären keine, wenn du sie wüsstest, hatte er gesagt, aber Luisa zeigte nicht die geringste Veränderung mir gegenüber, oder doch, sie brauchte nicht zu fürchten, sie war nicht mehr jenseits des Ozeans, sondern in der Nähe, im anderen Zimmer, ich würde gleich an ihrer Seite sein, ihr den Rücken decken, sobald Custardoy gegangen wäre. Ich hatte Luisa kaum etwas erzählt, nichts von ›Bill‹ oder von Guillermo, nichts von dem Bademantel und dem Dreieck behaarter Brust, nichts von dem Video oder der Stimme wie eine Säge, nichts von dem Bein oder vom Warten in jener Sonnabendnacht, all dies war an sich kein Geheimnis oder konnte keines gewesen sein, aber vielleicht war es schon eines, weil ich es seit meiner Rückkehr eine Woche lang verschwiegen hatte, das Geheimnis hat keinen eigenen Charakter, das Verbergen und das Schweigen bestimmen es oder die Vorsicht oder auch das Vergessen, nicht das Kommentieren oder das Berichten, weil zuhören das gefährlichste ist, und es ist nicht vermeidbar, und die Dinge geschehen nur, wenn sie nicht erzählt werden, sie berichten heißt sie verjagen und die Tatsachen vertreiben, die Paare erzählen sich alles von den anderen, nicht das eigene, es sei denn, sie glauben, es gehöre beiden: und dann die Zunge am Ohr,
›I have done the deed‹
, und in dieser bloßen Aussage liegt schon die Entstellung oder Verneinung dieser Tatsache oder Tat. ›Ich hab’ die Tat getan‹, wagte Macbeth zu sagen, er sagte es unmittelbar, nachdem er sie getan hatte, wer würde so etwas wagen, nicht so sehr, es zu tun, als es zu sagen, das Leben und die künftigen Jahre hängen nicht davon ab, was man tut, sondern davon, was man von einem weiß, was man weiß, dass er getan hat, und was man nicht weiß, weil es keine Zeugen gab und er geschwiegen hat. Vielleicht muss man den Trug akzeptieren, der Teil der Wahrheit ist, wie die Wahrheit Teil des Truges ist, unser Denken ist schwankend und ambivalent und duldet nicht, dass es keinen Verdacht gibt, für unser Denken wird es immer Schattenbereiche geben, und immer denkt es mit so krankem Hirn.
    Ich fürchtete für Berta, schon vier Uhr, plötzlich fürchtete ich, man habe sie umgebracht, die Menschen sterben, die Menschen, die wir kennen, sterben, obwohl es unmöglich scheint, nur sie wusste, dass als vereinbartes Zeichen ein Licht gelöscht werden musste, der Mörder hatte keinen Grund, es zu tun, wenn er ginge, das Licht sollte genau nach seinem Fortgang gelöscht werden, um mich darüber zu informieren und mir zu sagen ›Komm rauf‹, die Dunkelheit bedeutete ›Komm rauf‹, vielleicht bedeutete unsere etwas für Custardoy, er würde sie sehen, meine Botschaft lautete ›Geh weg‹. Ich hob meine Tüte vom Boden auf und begann langsam die Straße zu überqueren, um hinaufzugehen, ohne noch länger zu warten, es waren ein paar Schritte, und hier war seit langem kein Auto vorbeigefahren, zwanzig nach vier, zu viele Stunden für zwei Fremde. Ich befand mich mitten auf der Straße, um sie zu überqueren, als ein Taxi auftauchte, das langsam fuhr, als suchte das Taxi die nahe Hausnummer seines Ziels. Ich ging meine vier oder zwei Schritte zurück und trat wieder auf den Bürgersteig, der Taxifahrer gelangte auf meine Höhe und schaute mich misstrauisch an (Bettler und Drogensüchtige tragen oft Plastiktüten, Betrunkene hingegen henkellose Tüten aus grobem Papier); als er mich besser sah oder meine gelassene Haltung sah,

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