Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Mantel stand offen, ich bemerkte, dass sie nicht das letzte Kleid trug, das ich im Badezimmer an ihr gesehen hatte, wer weiß, wie oft sie sich nach meinem Fortgang noch umgezogen haben mochte. Es war ein ebenfalls provokantes, hübsches Kleid, und ihr stand die Eile ins Gesicht geschrieben (oder es war Schrecken oder Bedrängnis oder die Nacht, das Gesicht der Nacht).
    »Ein Glück, dass du noch nicht im Bett bist«, sagte sie.
    »Ich bin gerade gekommen. Was ist?«
    »Bill ist unten. Er will nicht, dass wir in sein Hotel gehen, na ja, er hat mir nicht mal gesagt, dass er in einem Hotel ist. Er will eben nicht, dass wir dahin gehen, wo er wohnt, er will hierher kommen. Ich habe ihm gesagt, dass ein Freund für ein paar Tage da ist, und er hat gesagt, dass er keine Zeugen will, na ja, das ist normal, nicht? Was können wir machen?«
    Sie war so taktvoll gewesen, auch jetzt den Plural zu benutzen, obwohl die Möglichkeit bestand, dass dieser Plural nicht mehr mich einschloss, sondern ›Bill‹, der unten wartete, vielleicht alle drei.
    »Was wir als Studenten gemacht haben, nehme ich an«, sagte ich, während ich aufstand und mich an einen anderen, nur uns gehörenden Plural erinnerte, den es in der Vergangenheit gegeben hatte. »Ich geh eine Runde drehen.«
    Sie zweifelte es nicht an, sie erwartete es. Sie protestierte nicht, sie bat darum.
    »Es wird nicht lange dauern«, sagte sie, »eine Stunde, anderthalb, ich weiß nicht. In der Fourth Avenue, ein bisschen weiter unten, ist ein Schnellrestaurant, das rund um die Uhr geöffnet ist, du wirst es schon sehen, es ist riesig. Na ja, es ist nicht spät, es ist noch vieles offen. Macht es dir nichts aus?«
    »Nein, natürlich nicht. Du sollst alle Zeit haben, die du willst, besser drei Stunden?«
    »Nein, nein, so lange nicht. Wir können eines machen. Ich lasse das Licht in diesem Zimmer an, man sieht es von der Straße. Wenn er geht, mach ich es aus. Von unten kannst du sehen, ob die Wohnung dunkel ist, und dann kannst du raufkommen, einverstanden?«
    »Gut«, sagte ich. »Und wenn er hier übernachten will?«
    »Nein, das bestimmt nicht. Nimm was zum Lesen mit.« Das sagte sie wie eine Mutter.
    »Ich werde die Morgenzeitung kaufen. Wo ist er?«, fragte ich. »Vergiss nicht, dass er mich gesehen hat, wenn er mich jetzt rauskommen sieht und wiedererkennt, dann ist das schlecht.«
    Berta trat ans Fenster, und ich trat hinter sie. Sie schaute nach links und nach rechts und erblickte ›Bill‹ rechts. »Da ist er«, sagte sie, während sie mit dem Zeigefinger auf ihn wies. Meine Brust berührte ihren Rücken, ihr Rücken atmete hastig, mit Eile oder Bedrängnis oder Schrecken, oder er war nächtlich. Die Nacht war rötlich und bewölkt, aber es sah nicht so aus, als ob es jemals regnen würde. Ich sah die Gestalt von ›Bill‹, umgewandt, ziemlich weit von unserem Hauseingang entfernt, wartend, entfernt auch vom einzigen Lichtkegel, der sich in unserem Gesichtsfeld befand (Berta wohnt in einer Straße mit niedrigen Häusern in einem dritten Stock, nicht in einer Avenue mit Wolkenkratzern).
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie, »ich gehe mit dir runter, um ihm Bescheid zu sagen. Ihm liegt am meisten daran, dass ihn niemand sieht. Du gehst einfach nach links, wenn wir rauskommen, er wird sich erst umdrehen, wenn ich ihm Bescheid sage. Macht es dir auch bestimmt nichts aus?« Und Berta streichelte mir die Wange, liebevoll zu mir, wie es die Frauen sind, wenn sie eine Hoffnung nähren, mag sie auch nur einen Augenblick dauern oder ihre Dauer schon zu Ende geht.
    Ich verließ das Haus und ging ein wenig herum. Ich betrat mehrere Geschäfte, die noch offen waren, in dieser Stadt ist immer alles offen, Berta hatte plötzlich wie eine Spanierin gedacht, vielleicht weil einer auf sie wartete und sie mit einem anderen sprach. In einem koreanischen Lebensmittelgeschäft, das nie zumachte, kaufte ich die sonntägliche
New York Times
, die gigantischste der Woche, und Milch für zu Hause, sie war alle. Ich ging in einen Schallplattenladen und kaufte eine Schallplatte, die Originalaufnahme der Musik eines alten Films, es gab sie nicht als Compact Disk, nur auf einer schwarzen Schallplatte, die nicht mehr im Katalog stand. Es war Sonnabend, die Straßen waren voller Menschen, ich sah die Drogenabhängigen und die zukünftigen Delinquenten aus der Entfernung. Ich ging in eine nachts geöffnete Buchhandlung und kaufte ein japanisches Buch, des Titels wegen,
House of the Sleeping

Weitere Kostenlose Bücher