Mein Herz so weiß
die ihre Flucht vorbereiteten, zu eiligen Preisen etliche Schmuckstücke und wertvolle Gemälde abgekauft. Einige (wenige) hatte er behalten, andere waren an Baltimore, Boston oder Malibu verkauft oder in Europa versteigert worden (die Schmuckstücke hatten vielleicht Madrider Juweliere auseinandergenommen, und irgendeines war irgendein Geschenk). Das war etwas, dessen er sich rühmte, und er beklagte, dass er nicht noch einmal einen so guten Riecher für kommende Revolutionen und das aus ihnen folgende begüterte Exil gehabt hatte. »Wenn reiche Leute das Feld räumen, wollen sie ihren Feinden nichts zurücklassen«, sagte er mit dem ewig spöttischen Lächeln seiner weiblichen Lippen. »Bevor sie ihnen etwas in die Hände fallen lassen, verbrennen oder zerstören sie es lieber, aber die Reichen wissen, dass es immer ein bisschen besser ist, zu verkaufen.« Wenn er damals in Kuba gewesen war, dann hatte er vermutlich Kontakte und vielleicht Freunde dort und war schon vorher dort gewesen, aber seine Aufenthalte auf jenem Kontinent vermischten sich miteinander, die Reisen gerieten durcheinander bei seinen Erzählungen (er selbst brachte sie wahrscheinlich durcheinander), so viele Male war er dort gewesen, um seine ehrbaren nordamerikanischen Museen und seine betrügerischen südamerikanischen Banken zu beraten, von den möglichen Reisen nach Kuba war nur die vorrevolutionäre deutlich. (Den Kindern erzählt man außerdem ohne Reihenfolge, in dem Maße, wie sie heranwachsen und sich interessieren, nach und nach und sprunghaft, und für sie nimmt sich das gesamte vergangene Leben ihrer Erzeuger im besten Falle chaotisch aus.) Wie dem auch sei, seine Freundschaften auf der Insel dürfte er mit dem Ereignis des Jahres 59 und dem vielbesungenen Ende der Privilegien verloren haben, obwohl ich mich seltsamerweise nicht daran erinnere, dass er jemals Kontakt zu kubanischen Flüchtlingen in Spanien gehabt hätte. Oder aber sie kamen nicht nach Hause, und ich wurde ihnen nicht vorgestellt. Seitdem war er nicht wieder dort gewesen, weshalb Ranz, wenn er vom jetzigen Kuba redete, es ohne Sachkenntnis tat.
Aber bei jener Gelegenheit war seine Art zu sprechen wirklich ungewöhnlich und anders, als hätte Luisas Gegenwart bereits so großes Gewicht erlangt, dass der Ton und die Gefälligkeit, die er sicher ihr gegenüber an den Tag legte, wenn er allein mit ihr war, die Oberhand gewannen über den alten, so ironischen Ton, den er immer mir gegenüber benutzt hatte, in der Kindheit ebenso wie im Erwachsenenalter. Und als Luisa einen Moment lang aus dem Zimmer ging, um zu telefonieren, änderte sich die Art, in der mein Vater berichtete und erzählte, oder besser gesagt, sie wurde unterbrochen. Als begriffe er auf einmal, dass ich da war, begann er mir Fragen über New York zu stellen, die er mir schon gleich nach der Rückkehr gestellt hatte (drei Tage danach hatten wir zusammen im ›La Ancha‹ gegessen) und deren Antworten er schon kannte oder die ihn nicht interessierten. Obwohl ich dabei war, war es Luisa, an die er sich wandte, und sobald sie zurückkehrte, nahm er seine Erzählungen mit einer Lebhaftigkeit wieder auf, die ungewöhnlich war, obwohl Ranz sein ganzes Leben lebhaft gewesen war. Vielleicht war Luisas Lachen das passende, vielleicht lachte sie in den richtigen Augenblicken (das heißt, in den von ihm beabsichtigten), vielleicht hörte sie ihm in wünschenswerter Weise zu oder formulierte die angebrachten Einschübe und Fragen, oder sie war einfach jemand, dem er sich zu erkennen geben und alles erzählen wollte, jemand Neues, dem er seine Geschichte ohne Sprünge und der Reihe nach erzählen konnte, weil sie von Anfang an interessiert war und man nicht auf ihr Heranwachsen warten musste. Mein Vater erzählte uns verschiedene, mir unbekannte Anekdoten, darunter die eines venezianischen Fälschers kleiner romanischer, in Elfenbein geschnitzter Jungfrauenstatuen, die dieser, wenn er sie mit großer Könnerschaft beendet hatte, am Büstenhalter seiner Frau befestigte, einem gewaltigen Büstenhalter; die (reichlichen) Sekrete der Brust und die (starke) Transpiration der Achselhöhlen verliehen seinen kleinen Statuen eine perfekte Patina. Oder die des Direktors einer Bank in Buenos Aires, ein Kunstliebhaber, der sich hartnäckig weigerte, ihm zu glauben, und ihm ein Werk von Custardoy dem Älteren abkaufte, das Ranz im Auftrag einer wohlhabenden geizigen Familie mitgebracht hatte, die nur eine gute Kopie eines sehr
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