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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Leute sind das ganze Leben so, ewig jung, ein Unglück. Man erzählt, spricht, sagt, die Worte sind umsonst, und manchmal sprudeln sie heraus, ohne Einschränkungen. Sie kommen in jeder Situation aus dem Mund, wenn wir betrunken sind, wenn wir wütend sind, wenn wir niedergeschlagen sind, wenn wir einer Sache überdrüssig sind, wenn wir begeistert sind, wenn wir uns verliebt fühlen, wenn wir sie besser nicht sagen sollten oder wenn wir sie nicht abwägen können. Wenn wir wehtun. Es ist unmöglich, sich nicht zu irren. Seltsam ist, dass die Worte nicht mehr verheerende Folgen haben, als es normalerweise der Fall ist. Oder vielleicht wissen wir es nicht genug, wir glauben, dass sie nicht so viele haben, und dabei ist alles eine ständige Katastrophe durch das, was wir sagen. Die ganze Welt redet unaufhörlich, in jedem Augenblick gibt es Millionen von Gesprächen, von Erzählungen, von Erklärungen, von Kommentaren, von Klatsch, von Geständnissen, sie werden gesagt und gehört, und niemand kann sie kontrollieren. Niemand kann die explosive Wirkung voraussehen, die sie haben, nicht einmal sie verfolgen. Denn die Worte sind zwar viele und billig und bedeutungslos, aber nur wenige sind imstande, sie nicht zu beachten. Man gibt ihnen Bedeutung. Oder auch nicht, aber man hat sie gehört. Du weißt nicht, wie oft ich im Lauf so vieler Jahre an die Worte gedacht habe, die ich Teresa in einem unkontrollierten Anfall von Liebe gesagt habe, vermute ich, wir befanden uns auf unserer Hochzeitsreise, schon fast am Ende. Ich hätte schweigen können und das für immer, aber man glaubt, man liebt mehr, weil man Geheimnisse erzählt, erzählen ist oft wie ein Geschenk, das größte Geschenk, das man machen kann, die größte Loyalität, der größte Beweis der Liebe und Hingabe. Und man erweist sich gefällig, indem man erzählt. Plötzlich genügt es einem nicht, nur feurige Worte zu sagen, die sich rasch abnutzen oder monoton werden. Auch dem, der sie hört, genügt es nicht. Wer spricht, ist unersättlich, und unersättlich ist, wer hört, wer spricht, möchte die Aufmerksamkeit des anderen endlos fesseln, er möchte mit seiner Zunge bis auf den Grund dringen (›Die Zunge als Regentropfen, die Zunge am Ohr‹, dachte ich), und wer hört, möchte endlos abgelenkt werden, er möchte hören und mehr und mehr wissen, auch wenn es erfundene oder falsche Dinge sind. Teresa wollte vielleicht nicht wissen oder, besser gesagt, sie hätte es nicht gewollt. Aber ich habe ihr plötzlich etwas gesagt, ich habe mich nicht genügend kontrolliert, und dann konnte sie nicht mehr nicht wollen, sie wollte wissen, sie musste zuhören.« Ranz machte eine ganz kurze Pause, jetzt sprach er ohne Zögern, und seine Stimme war kräftiger, fast deklamatorisch, weder ein Gemurmel noch ein Geflüster, sie wäre bei geschlossener Tür zu mir gedrungen. Aber ich ließ sie angelehnt. »Sie ertrug es nicht. Zur damaligen Zeit gab es keine Scheidung, und sie hätte sich nicht dazu hergegeben, eine Annullierung zu versuchen, sie war nicht zynisch, und unsere Ehe war vollzogen, das will ich meinen, lange bevor sie Ehe war. Aber auch eine Scheidung oder eine Annullierung hätte nicht genügt, wenn sie möglich gewesen wäre. Es war nicht nur so, dass sie mich nicht mehr ertragen konnte, als sie wusste, dass sie nicht mehr mit mir leben konnte, keinen Tag länger, keine Minute länger, wie sie sagte, obwohl sie noch ein paar Tage mit mir zusammen war, ohne zu wissen, was sie tun sollte. Sondern auch sie hatte etwas gesagt, sie hatte einmal, sehr viel früher, etwas gesagt, und was sie gesagt hatte, blieb nicht ohne Folgen. Sie ertrug mich nicht, und sie ertrug sich selbst nicht, weil sie einmal leichthin gesprochen hatte, ohne sich klarzumachen, dass sie nicht schuld war, gar nicht schuld sein konnte an dem, was ich gehört hatte, und ich nicht, es zu hören (›Eine Anstiftung besteht aus weiter nichts als Worten‹, dachte ich, ›übersetzbaren, herrenlosen Worten‹). Sie verbrachte einige Tage in äußerster Angst, seitdem ich es ihr erzählt hatte, in wachsender Angst, nie habe ich jemanden so verängstigt gesehen, sie schlief kaum, sie aß nicht und würgte, sie versuchte, sich zu übergeben, sie konnte nicht, sie sprach nicht mit mir, sie schaute mich nicht an, sie sprach mit kaum jemandem, sie drückte den Kopf ins Kissen, sie verstellte sich so gut sie konnte gegenüber anderen. Sie weinte, sie weinte unaufhörlich in jenen Tagen, es waren nur wenige.

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