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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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anschauen wollte, denn wenn man sehr aufmerksam zuhört, dann sieht man nichts, so als schlösse die äußerste Anspannung eines Sinnes die Benutzung der anderen aus. Wenn ich schaute, sah ich auch die Gestalt Luisas unter den Laken, zusammengerollt in meinem Rücken, oder, besser gesagt, nur die Oberfläche der Gestalt, das Einzige, was, da sie lag, im Gesichtsfeld des Wandspiegels erschien. Wenn ich mehr von ihr sehen wollte, ihren Kopf, musste ich aufstehen. Nach jenem letzten Satz Miriams meinte ich zu hören (aber vielleicht verfügte ich bereits über Anhaltspunkte, um mir vorzustellen, was ich nicht sehen und nicht hören konnte), wie sie zornig aufstand und ein- oder zweimal im Zimmer hin und her ging, das sicher dem unseren glich (so als wollte sie fortgehen, aber könnte noch nicht und wartete auf etwas, darauf, dass ihr eigener Verdruss verflog), denn zu mir drang das Knarren von Holz, auf das getreten wird: wenn es so war, dann hatte sie sich tatsächlich die Schuhe ausgezogen, es war nicht das Geklapper von Hufen, sondern das Geräusch von Fersen und Zehen, vielleicht war sie nackt, vielleicht hatten sich beide ausgezogen, während ich noch nichts gehört hatte, hatten ihre Zärtlichkeiten begonnen und sie dann unterbrochen oder aufgegeben, um mit der Gereiztheit zu sprechen, die ihnen eigen und gewohnheitsmäßig war. Ein Paar, dachte ich, das von seinen Hindernissen abhängt und lebt, ein Paar, das sich auflösen wird, wenn es keine mehr gibt, wenn es nicht zuvor aufgelöst wird von eben jenen so beschwerlichen und dauerhaften Hindernissen, die sie jedoch werden hegen und pflegen und verewigen müssen, wenn sie schon den Augenblick erreicht haben, an dem sie auf du und ich oder auf einander nicht verzichten können.
    »Willst du wirklich, dass ich dich in Ruhe lasse?«
    Es kam keine Antwort, oder aber er wartete nicht lange genug, denn gleich darauf, fester, aber noch immer mit einem Gemurmel, das verletzend klang, fuhr die Säge fort:
    »Sag, ist es das, was du willst? Dass ich dich nicht mehr anrufe, wenn ich komme? Dass du nicht weißt, dass ich angekommen bin und hier bin und wann ich hier bin? Dass zwei Monate vergehen und dann drei und noch mal zwei und du mich noch immer nicht findest und nicht siehst und nichts von mir weißt und auch nicht, ob meine Frau schon gestorben ist?«
    Der Mann musste ebenfalls aufgestanden sein (ich weiß nicht, ob vom Bett oder aus einem Sessel) und sich der Stelle genähert haben, an der sie sich befand, stehend, wahrscheinlich nicht nackt, nur barfuß, niemand bleibt mehr als ein paar Sekunden nackt mitten in einem Zimmer stehen, nicht einmal wenn er auf dem Weg zum Bad oder zum Kühlschrank ist und stehenbleibt. Auch wenn es sehr heiß ist. Es war sehr heiß. Die Stimme des Mannes fuhr fort, jetzt ruhiger und vielleicht deshalb nicht mehr murmelnd, noch immer verstellt wie die eines Sängers, der sie selbst noch im Streit mäßigt; sie war auch bei normalem Tonfall hoch, eindeutig, und sie vibrierte wie bei einem Prediger oder einem singenden Gondoliere.
    »Ich bin deine Hoffnung, Miriam. Ich bin es seit einem Jahr, und niemand kann auf seine Hoffnung verzichten. Glaubst du, du wirst so leicht eine andere finden? In der Kolonie bestimmt nicht, niemand wird dort reinwollen, wo ich schon gewesen bin.«
    »Du bist ein Dreckskerl, Guillermo«, sagte sie.
    »Denk, was du willst, du wirst schon sehen.«
    Beide hatten einander schnell geantwortet, vielleicht hatte Miriam ihren Satz mit irgendeiner unbekannten Gebärde ihres ausdrucksvollen Arms begleitet. Und wieder folgte Stille, die Stille oder die Pause, die nötig ist, damit derjenige, der beleidigt hat, nachgeben und um Wohlwollen werben kann, ohne die Beleidigung zurückzunehmen oder um Verzeihung zu bitten, wenn jeder den anderen missbraucht, dann löst sich das Gesagte schließlich von alleine auf, wie der Streit zwischen Geschwistern, wenn sie noch klein sind. Oder es akkumuliert sich, aber immer wird es auf später verschoben. Miriam dachte vermutlich nach. Wahrscheinlich dachte sie, was sie sicher nur zu gut wusste und schon unzählige Male gedacht hatte, das Gleiche, was ich dachte, obwohl ich nichts wusste und auch nicht über die Vorgeschichte verfügte. Ich dachte, dass der Mann Guillermo recht hatte und das bessere Blatt in Händen hielt. Ich dachte, dass Miriam nichts anderes übrigblieb, als weiter zu warten und sich mit jedem auch noch so betrügerischen Mittel immer unentbehrlicher zu machen und zu

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