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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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aus erspähen konnte, ich ging hinaus, obwohl ich wusste, dass es nicht so wäre, denn der Balkon – vorspringend, wie jeder Balkon – brachte mich zwar der Straße ein wenig näher, befand sich jedoch zur Rechten meines Fensters, das heißt er bot noch weniger Sicht auf das, was sich hinter der Ecke befand, verborgen, ich schaute nach links. Es gingen nicht viele Passanten vorbei, so dass die Frau mit dem Zopf wieder und wieder den kleinen Plastikteller schüttelte und ein paar Münzen erklingen ließ, die sie vielleicht selbst hineingelegt hatte, Geld ruft Geld herbei. Ich kehrte zu meinem Schreibtisch zurück und versuchte, den Radau zu überhören, aber ich konnte nicht, also zog ich mir ein Jackett an und ging auf die Straße hinunter, bereit, die Musik zu unterbrechen. Ich überquerte den Fahrdamm und sah schließlich den sonnenverbrannten Mann mit einem alten Hut und einem weißen, kurzgestutzten Schnurrbart, ein Mann mit gegerbter Haut und freundlichem Gesicht, mit lächelnden Schlitzaugen, die ein wenig verträumt und abwesend waren, während er mit der rechten Hand die Kurbel drehte und mit dem anderen Fuß, dem linken, den Takt auf den Boden klopfte, beide Füße steckten in Schuhen aus geflochtenem Leder, weiß der Spann und braun der Rest, über die sich die etwas weite und lange Hose breitete. Er spielte einen Pasodoble bei mir an der Ecke. Ich holte einen Schein aus der Tasche, und mit ihm in der Hand sagte ich:
    »Ich gebe Ihnen das, wenn Sie eine Ecke weiter gehen. Ich wohne hier und arbeite zu Hause. Bei der Musik ist das unmöglich. Einverstanden?«
    Der Mann lächelte noch breiter und bewegte zustimmend den Kopf, mit dem er seinerseits der Frau mit dem Zopf ein Zeichen machte, obwohl das nicht nötig war: sie war mit dem halbleeren Plastikteller nähergetreten, sobald sie den Schein in meiner Hand gesehen hatte. Sie hielt mir den Teller entgegen, und ich legte das grüne Papier hinein, das nur eine Sekunde dort blieb, der Plastikteller abermals fast leer und der Schein in einer Tasche. In Madrid geht das Geld nie von Hand zu Hand.
    »Danke«, sagte ich. »Aber gehen Sie an die andere Ecke, ja?«
    Der sonnenverbrannte Mann nickte erneut, und ich ging wieder hinüber zu mir nach Hause. Als ich in mein Zimmer im fünften Stock kam, sah ich mit leicht zwanghaftem Misstrauen aus dem Fenster, denn die Musik war zwar immer noch hörbar, aber sie tönte schon schwächer, entfernter und würde mich nicht an der Konzentration hindern. Aber dennoch schaute ich hinaus, um mit eigenen Augen festzustellen, dass sie meine Ecke geräumt hatten. »Ja, mein Herr, sofort«, hatte die Zigeunerin gehorsam gesagt, und sie hatten sich daran gehalten.
    Heute werden mir zwei Dinge bewusst: erstens – dieser Punkt ist weniger wichtig – hätte ich nicht insistieren dürfen, nachdem das Geld und der Handel akzeptiert worden waren, ich hätte nicht wiederholen dürfen ›Aber gehen Sie an die andere Ecke, ja?‹, womit ich von vornherein in Zweifel zog, dass sie sich an die Vereinbarung halten würden (das Schlimmste war dieses kränkende ›ja?‹). Zweitens – und dies ist schwerwiegender – habe ich,
weil
ich Geld besitze, über die Bewegungen zweier Menschen gestern Vormittag entschieden. Ich wollte nicht, dass sie an einer Ecke (
meiner
Ecke) blieben, und schickte sie zu einer anderen, die sie nicht gewählt hatten; sie hatten meine gewählt, vielleicht aus Zufall, aber vielleicht auch aus irgendeinem Grund, vielleicht hatten sie einen Grund, an meiner zu stehen und nicht an der anderen, aber das kümmerte mich nicht, noch hatte ich Interesse daran, es herauszufinden, ich brachte sie einfach dazu, einen Häuserblock weiter zu gehen, dorthin, wo sie sich nicht aus eigener Entscheidung hingestellt hatten. Ich habe sie nicht gezwungen, das ist wahr, es war ein Geschäft oder ein Pakt, für mich lohnte es sich, einen Schein auszugeben, um in Ruhe arbeiten zu können (ich würde mehr Scheine verdienen, wenn ich arbeitete), und für sie war es bestimmt nicht lebensnotwendig, an meiner Ecke zu stehen, sicher war es ihnen lieber, eine weiter zu gehen und meinen Schein zu behalten, als ohne Schein an meiner zu bleiben, deshalb waren sie einverstanden und gingen weiter. Man kann sogar meinen, dass es leichtes Geld war, sie hätten Stunden gebraucht, um diese Menge durch die Münzen knausriger Passanten zusammenzubringen, die sich kaum blicken ließen. Es ist nicht schlimm, es ist ein geringfügiger, unbedeutender

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