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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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steigen, um mit ihren abgebrochenen, tintenfleckigen Fingernägeln nach einem Farbband zu suchen, ihre schlanke Figur leicht gepolstert, ihre Brüste, die ich wachsen sah, immer weiter auseinander strebend, der Blick voll Überdruss und die größer werdenden Augenringe, die von wenig Schlaf geschwollenen Lider, die sich schwer auf ihre einst schönen Augen senken; oder vielleicht nur geschwollen durch das, was sie von Kindesbeinen an vor sich sahen. Jenes Mal, als ich da war und sie sah, kurz vor meiner geplanten Hochzeit, bevor ich hinaufging, um meinen Vater zu einem heiteren Mittagessen abzuholen, hatte ich einen eitlen Gedanken, dessen ich mich eher schäme und den ich dennoch nicht ganz verdrängen konnte, oder besser gesagt, er kommt mir ab und zu in den Sinn wie etwas tausendmal Vergessenes und ebenso oft Erinnertes, dem abzuhelfen man jedoch immer zu träge ist, und so zieht man es vor, dass es weiterhin zu gleichen Teilen oder abwechselnd vergessen und erinnert wird, um es nicht endgültig zu vergessen. Ich dachte, dass dieses Mädchen, Nieves, anders und besser wäre, wenn ich sie nicht nur aus der Ferne geliebt hätte, wenn ich nach der Jugendzeit mit ihr gesprochen und mit ihr Umgang gehabt hätte und sie mich hätte küssen wollen, was ich nie werde wissen können, ob sie gewollt hätte. Ich weiß, dass ich nichts von ihr weiß, bestimmt fehlen ihr innere Unruhe und Ehrgeiz und Neugier, aber ich bin mir zumindest zweier Dinge sicher: dass sie sich nicht so kleiden würde, wie sie es jetzt tut, und dass sie das Papierwarengeschäft verlassen hätte, dafür hätte ich gesorgt. Dass sie noch hübsch wäre und jung wirken würde, wäre vielleicht zu viel gesagt, aber die bloße Möglichkeit, dass es so gewesen wäre, reicht aus, mich zu empören, nicht über mich selbst, weil ich nur über Bleistifte mit ihr gesprochen habe, sondern über die einfache Tatsache oder abermals die Möglichkeit, dass das sichtbare Alter und das Äußere einer Person von demjenigen abhängen können, der sich ihr genähert hat, und davon, Geld zu haben. Geld bewirkt, dass das Papierwarengeschäft ohne Zögern verkauft wird und noch mehr Geld da ist, Geld mindert die Angst und kauft in jeder Saison neue Kleider, Geld ermöglicht, dass ein Lächeln und ein Blick geliebt werden, wie sie es verdienen, und länger anhalten, als ihnen zusteht. Andere Menschen in der Situation von Nieves wären nicht mehr dort, es wäre ihnen gelungen, die so bequeme abstrakte Zukunft zu verlassen, das Offene, das sich allmählich schließt; aber ich spreche nicht von imaginären Menschen, sondern von diesem Mädchen, dessen niemals konkrete Gestalt die Nächte meiner fünfzehn Jahre schützte. Deshalb war mein eitler Gedanke nicht nur eine dünkelhafte, pathetische Variante der Märchen von Prinzen und Bäuerinnen, von Professoren und Blumenmädchen, von Gentlemen und Revuegirls, obwohl er etwas Anmaßendes hatte, vielleicht wurde er durch meine bevorstehende Hochzeit ausgelöst und weil ich mich als Verräter und überlegen und einen Augenblick lang gerettet fühlte, überlegen und Verräter gegenüber Nieves und gerettet davor, zu sein wie sie. Ich dachte nicht an mich selbst, sondern an ihr gestaltetes Leben, an seine Fortdauer, ich glaubte eine Sekunde lang, dass ich fähig gewesen wäre, es zu ändern, sogar jetzt noch, es zu tun, ebenso oder ähnlich, wie ich gestern Vormittag den Standort und die Schritte des angenehmen Drehorgelspielers meiner Vergangenheit und der Frau mit dem Zopf geändert habe. Ich weiß, dass das Mädchen des Papierwarengeschäfts andere Dinge und andere Länder außerhalb des Sommerurlaubs gesehen hätte, ich weiß, dass sie Umgang mit anderen Menschen gehabt hätte als mit denen, die sie sieht und kennt, ich weiß, dass sie über mehr Geld verfügt und sich nicht unter Holzwolle und Radiergummifusseln begraben hätte. Aber was ich nicht weiß, ist, wie ich es wagen konnte, all dies zu denken, wie ich es noch heute wage, diesen eitlen Gedanken nicht endgültig verjagt zu haben, und ihm erlaube, wiederzukehren, wie ich es für selbstverständlich halten konnte, dass ein Leben mit mir besser für sie gewesen wäre, besser im Ganzen. Nie gibt es ein Ganzes, denke ich, und wer wäre sie, dachte ich, ohne mir einzugestehen, dass auch ich nicht der Gleiche wäre und vielleicht meine Tage mit ihr im Papierwarengeschäft verbringen würde.
    »Hast du Patronen für diesen Füllfederhalter?«
    Das war es, was ich sie fragte,

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