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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Hochzeitsreise nach Havanna und Mexiko und New Orleans und Miami, erzählte, was vor fast vierzig Jahren wirklich mit meiner Tante Teresa geschehen war. Ich wollte meinen Vater besuchen, ihn nach der Rückkehr begrüßen und ihm von meiner Reise erzählen, als ich am Portal auf Custardoy den Jüngeren traf, dessen schlanke Gestalt reglos in der Dämmerung stand.
    »Er ist nicht da«, sagte er, »er musste ausgehen.« Und er hob die Augen, zum Zeichen, dass er sich auf Ranz bezog. »Er hat mich gebeten, ein paar Minuten auf dich zu warten, um es dir zu sagen. Ein Amerikaner hat ihn angerufen, und er ist sofort davongeschossen, ich weiß nicht wer von irgendeinem Museum, er ruft dich heute Abend oder morgen an. Lass uns was trinken gehen.«
    Custardoy der Jüngere fasste mich am Arm, und wir gingen los. Ich fühlte seine kalte, eiserne Hand, deren Zugriff ich seit meiner Kindheit gut kannte, er war ein Junge und ist jetzt ein Mann mit außerordentlicher Körperkraft, mit der Kraft der Nerven und der Konzentration. Das letzte Mal hatte ich ihn vor ein paar Wochen gesehen, am Tag meiner schon so weit zurückliegenden Hochzeit, zu der er von Ranz eingeladen worden war, nicht von mir. Ranz hatte mehrere Personen eingeladen, ich hatte keinen Grund, Einwände zu erheben, nicht dagegen und auch nicht gegen Custardoy. Damals hatte ich keine Zeit gehabt, mit ihm zu sprechen, er hatte sich darauf beschränkt, mich zu beglückwünschen, als er mit seinem liebenswürdigen, leicht spöttischen Lächeln im Kasino eintraf, später hatte ich ihn während des Festes aus der Ferne gesehen, wie er begierig um sich schaute, im Grunde eine vertraute Anwesenheit. Er schaute immer begierig, auf die Frauen und auf einige Männer – schüchterne Männer –, wo immer er sich befand, seine Augen griffen zu wie seine Hände. An jenem Tag trug er keinen Schnurrbart, und jetzt, ein paar Wochen später, war er ihm fast schon wieder nachgewachsen, noch nicht ganz, er hatte ihn sich während meiner Reise mit Luisa stehen lassen. Im ›Balmoral‹ bestellte er ein Bier, nie trank er etwas anderes, und deshalb begann seine Schlankheit ihn am Bauch zu verlassen (aber die Krawatte verdeckte ihn immer). Eine Weile redete er über Geld, dann über meinen Vater, der, wie er fand, gut aussah, dann wieder über das Geld, das er verdiente, als wäre das Letzte, was ihn interessierte, mein neuer Personenstand, er fragte mich nichts, auch nicht nach der Reise oder meiner Arbeit oder meinen künftigen Aufenthalten in Genf und London oder sogar Brüssel, er konnte nichts davon wissen, er musste fragen, er tat es nicht. Da mein Vater ausgegangen war, wollte ich nach Hause und zu Luisa zurückkehren und vielleicht ins Kino gehen, ich habe Custardoy nie viel zu sagen gehabt. Mein Vater war sicher ausgegangen, weil jemand aus Malibu oder aus Boston oder aus Baltimore angerufen hatte, sie riefen ihn kaum noch an, obwohl sein Auge und seine Kenntnisse die Gleichen wie immer oder noch besser waren, selten konsultiert man die Alten oder nur in sehr wichtigen Angelegenheiten, bestimmt war jemand auf der Durchreise in Madrid und hatte niemanden, mit dem er zu Abend essen konnte, er hatte wahrscheinlich geglaubt, dass man ihn für eine Begutachtung benötigte, irgendein ausgegrabenes Gemälde, irgendein Geschäft in Madrid. Ich gab zu verstehen, dass ich gehen musste, aber daraufhin legte Custardoy mir erneut die Hand auf den Arm – seine Hand war wie ein Gewicht – und hielt mich auf diese Weise zurück.
    »Bleib noch ein bisschen«, sagte er. »Du hast mir noch nichts von deiner hübschen Frau erzählt.«
    »Du findest sie alle hübsch. Ich habe nicht viel zu erzählen.«
    Custardoy spielte mit der Flamme eines Feuerzeugs. Er lächelte mit seinen langen Zähnen und sah zu, wie die Flamme erschien und verschwand. Im Augenblick schaute er mich nicht an oder nur flüchtig mit einem seiner auseinanderstehenden Augen, die abirrten, um das Lokal zu kontrollieren.
    »Etwas wird sie haben, denke ich, wenn du nach so vielen Jahren geheiratet hast, du bist ja kein Kind. Bestimmt macht sie dich kirre. Die Leute heiraten nur, wenn ihnen nichts anderes übrigbleibt, aus Panik oder weil sie verzweifelt sind oder weil sie es nicht aushalten, jemanden zu verlieren, den sie nicht verlieren wollen. Es ist immer viel Irrsinn an dem, was so überaus konventionell wirkt. Komm, erzähl mir deinen. Erzähl mir, was das Mädchen mit dir macht.«
    Custardoy war vulgär und ein bisschen

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