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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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infantil, als hätte dieses endlose Warten auf das männliche Alter während seiner Kindheit etwas von dieser Kindheit für immer mit seinem männlichen Alter verknüpft. Er sprach zu ungeniert, obwohl er sich bei mir etwas beherrschte, ich meine, er minderte die Häufigkeit und den Ton seiner saloppen oder brutalen Ausdrücke, wenn er mit mir allein war. Einen anderen Freund hätte er rundheraus aufgefordert, die Möse seiner Frau oder sogar die Fotze zu beschreiben und ihm zu erzählen, wie sie geigte, schwer übersetzbare Wörter, die zum Glück nie in den internationalen Organisationen ausgesprochen werden; ich verdiente einige Umschweife.
    »Du müsstest mich bezahlen«, sagte ich, um seine Äußerung ins Scherzhafte zu wenden.
    »Komm, ich bezahl dich, wie viel willst du? Auf, noch ein Whisky für den Anfang.«
    »Ich will keinen Whisky mehr, nicht mal den hier. Lass mich in Ruhe.«
    Custardoy hatte seine Hand in die Tasche gesteckt, einer dieser Männer, die die Geldscheine lose in der Hosentasche tragen, ich auch, um die Wahrheit zu sagen.
    »Willst du nicht darüber reden? Mein Respekt, du willst nicht darüber reden. Auf dein Wohl und das deines Mädchens.« Und er nahm einen kurzen Schluck von seinem Bier. Er spähte um sich, während er sich mit den Lippen die Lippen trocknete, zwei Frauen von etwa dreißig Jahren saßen an der Bar und unterhielten sich, eine der beiden, die nähere (aber vielleicht auch beide), ließ gewollt oder ungewollt ihre Oberschenkel sehen. Oberschenkel, die zu gebräunt waren für den Frühling, wie von einer falschen Mulattin, bestenfalls gebräunt von Schwimmbädern und Cremes. Custardoy richtete jetzt seine schmucklosen oder schutzlosen Augen auf mich. Er fügte hinzu: »Jedenfalls hoffe ich, dass es dir bessergeht als deinem Vater, und ich will kein Unglücksbringer sein, dreimal Holz. Eine tolle Karriere, Blaubart ist nichts dagegen, ein Glück, dass er nicht weitergemacht hat, er ist schon ein wenig in den Jahren, der gute Mann.«
    »So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte ich. Ich hatte sofort an meine Tante Teresa und an meine Mutter Juana gedacht, beide tot, Custardoy meinte sie, vereinte sie übertrieben oder böswillig in ihrem Tod. ›Blaubart ist nichts dagegen‹, hatte er gesagt. ›Unglücksbringer‹ hatte er gesagt. Blaubart ist nichts dagegen. Keiner erinnert sich an Blaubart.
    »Ach nein?«, sagte er. »Na ja, die Sache kam halbwegs zum Stillstand mit deiner Mutter, hätte er sich vergessen, würdest du nicht existieren. Aber siehst du, auch sie hat er überlebt, ihm kommt niemand bei. Friede ihrer Asche, ja?«, fügte er mit spöttischem Respekt hinzu. Er sprach mit Achtung von Ranz, vielleicht mit Bewunderung.
    Ich schaute zu den Frauen hin, die uns nicht beachteten, sie waren in ihre Unterhaltung vertieft (bestimmt Bericht über Affären), aus der ab und zu ein einzelner, lauter ausgesprochener Satz herauszuhören war (»Das ist ja superstark«, hörte ich mit ehrlichem Staunen diejenige sagen, die uns den Rücken zuwandte, die andere ließ lässig ihre Oberschenkel sehen, aus einem anderen Blickwinkel könnte man die Spitze ihres Slips sehen, nahm ich an, ihre superstarken Oberschenkel ließen mich an Miriam denken, die Frau in Havanna vor einigen Tagen. Das heißt, sie brachten mir ihr Bild in Erinnerung und ließen mich denken, dass ich in einem anderen Augenblick an sie denken sollte. Erst vor ein paar Tagen, vielleicht war Guillermo, wie wir, auch schon zurückgekehrt).
    »Das ist Zufall, niemand kennt die Reihenfolge des Todes, es hätte ihn treffen können, so wie er auch uns alle begraben kann. Meine Mutter hat ziemlich lange gelebt.«
    Custardoy Sohn zündete sich schließlich eine Zigarette an und legte das Feuerzeug auf den Tisch, er verzichtete auf die Flamme und sog an der Glut. Ab und zu wandte er sich ein wenig zur Seite, um die Dreißigjährigen anzuschauen, die an der Bar saßen, und blies den Rauch in ihre Richtung, ich hoffte, er würde nicht auf den Gedanken kommen, aufzustehen und sie anzusprechen, das tat er oft und mit großer Lässigkeit, manchmal sogar, ohne dass es vorher auch nur zu einem Blick gekommen wäre, zu einem einzigen erwiderten oder getauschten Blick mit der Frau, an die er plötzlich das Wort richtete. Es schien, als wüsste er vom ersten Augenblick an, wer und mit welcher Absicht angesprochen werden wollte, in einem Lokal oder auf einem Fest oder sogar auf der Straße, oder vielleicht war er es, der die

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