Mein Herz springt (German Edition)
Harvard. Dort hat er auch die Zeit nach der Promotion verbracht. Meine Pläne wirken im Vergleich dazu einfach. Auf die Frage, wo meine Reise denn hingehen solle, antworte ich nüchtern: »Im Moment bin ich glücklich, so, wie es ist. Die Arbeit in der Kardiologie macht mir Spaß, vielleicht steht irgendwann noch die Beförderung zur Oberärztin an. Da muss ich aber noch einen Zahn zulegen.«
»Ich traue es Ihnen zu. Ihr Chef spricht überaus positiv über Ihr Fachwissen und Ihre Bissigkeit.«
»Sie haben mit meinem Chef über mich gesprochen?«, frage ich ungläubig.
»Ja, Ihre kurze, unverblümte Diagnose bei der Visite hat mir gefallen. Wenn ich Sie also irgendwie unterstützen kann, lassen Sie es mich wissen.« Wie sehr hätte sich Lisa über dieses Angebot gefreut. Zugegebenermaßen schmeichelt mir das Lob. Dennoch möchte ich nicht den Anschein erwecken, nur wegen meinerKarriere mit ihm hier zusammenzusitzen. Das bin nicht ich. Alles in meinem Leben habe ich mir selbst erarbeitet. Der Grund, weshalb ich hier bin, ist der Mann, der mir gerade tief in die Augen blickt. Ein Blick, der mich beinahe zerfließen lässt. Es ist ein Reiz, der alles andere, was um uns herum ist, ausblendet. Es darf heute Abend nicht um mich, meinen beruflichen Werdegang, gehen. Es muss um uns gehen. Um das, was uns verbindet. Ich danke Clausen also für sein Vertrauen und lenke das Gespräch in eine andere Richtung.
»Sagen Sie, Prof. Clausen, sind Sie eigentlich nur zum Vortragen hier? Oder füttern Sie Ihren Geist auch noch mit dem Wissen anderer Kollegen? … Oder brauchten Sie einen Grund, Ihren Freund Hainer in Wien zu besuchen?«, füge ich etwas spottend hinzu.
»Sie werden es nicht glauben, aber ich bin nur wegen meines eigenen Vortrags hier in Wien. Es bleibt nicht viel Zeit für anderes. Morgen früh fliege ich weiter nach Montreal zu einem meiner Forschungsteams. Ich habe heute die meiste Zeit damit verbracht, deren bisherige Ergebnisse zu verstehen und zu hinterfragen. So können wir gleich mit der Arbeit loslegen, wenn ich in Kanada ankomme. Ich verliere nur ungern Zeit.«
»Dann hoffe ich mal, dass Sie die Zeit mit mir nicht als verlorene Zeit empfinden werden«, merke ich scherzhaft an.
Clausen wird ernst und sucht erneut meinen Blick. »Nein, das werde ich nicht. Im Gegenteil.« Mehr sagt er nicht. Es herrscht ein kurzes Schweigen. Dann nimmt er den Faden wieder auf: »Aber jetzt erklären Sie mir doch bitte einmal, weshalb Sie mir eine monotone Vortragsweise unterstellen? Klingt ja fast so, als sähen Sie in mir einen medizinischen Einsiedler vor sich.«
Ich zögere kurz, bevor ich antworte: »Das möchten Sie gar nicht wissen, Herr Doktor. Wichtig ist doch, dass ich Sie jetztals sympathisch und witzig beschreibe. Das muss Ihnen als Erklärung reichen.«
Ich frage mich, wie der Abend weitergehen wird. Auf der einen Seite genieße ich die Gesellschaft von Prof. Clausen in dieser traumhaft schönen, inzwischen durch bunte Lichterketten erhellten Kulisse. Auf der anderen Seite bin ich ein bisschen enttäuscht: von der beruflichen Besessenheit des Arztes Hanno Clausen, aber auch einfach von der Tatsache, dass er morgen früh abreisen wird. Ich reiße mich zusammen und ermuntere mich selbst: Jetzt keine Trübsal blasen. Genieße den Moment. Er kommt so schnell nicht wieder.
Ich führe mein Glas Wein zum Mund und frage hoffnungsvoll: »So, und was machen wir jetzt noch?« Als ich den Satz ausgesprochen habe, habe ich kurz Angst vor der Antwort. Was ist, wenn er schon ins Hotel will? Sich noch vorbereiten will auf die Reise nach Montreal? Oder einfach ins Bett gehen will, um morgen ausgeschlafen zu sein? Könnte er mich jetzt gegebenenfalls als zu aufdringlich empfinden?
»Das ist eine gute Frage«, antwortet Clausen. »Was halten Sie von einem gemütlichen Spaziergang an der Donau? Danach könnten wir noch einen Absacker in die Weinbar von gestern zu uns nehmen. Was denken Sie?«
Voller Erleichterung nicke ich strahlend. »Eine gute Idee. Lassen Sie uns gehen!«
Clausen begleicht die Rechnung. Ich bedanke mich für die Einladung. Dann gehen wir ein paar Meter am Ufer der Donau spazieren. Es ist eine laue Sommernacht. Clausen trägt seinen Wollpulli locker über die Schultern geworfen. Ich selbst habe meinen dünnen Baumwollpulli in meiner Handtasche untergebracht. Die ersten Schritte gehen wir schweigend nebeneinander. Clausen hält seine beiden Hände fest in seiner Hosentascheverankert. Ich habe meine Arme in
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