Mein Herz springt (German Edition)
inzwischen fast gewohnter Manier verschränkt. Anscheinend hinterlasse ich durch meine Haltung einen frierenden Eindruck auf meine Begleiter. Clausen bietet mir seinen Pulli an. Ich lehne dankend ab.
»Was halten Sie eigentlich davon, wenn wir uns duzen, Frau Doktor?«, fragt Clausen überraschend.
Ich hatte mich an das formelle »Sie« mit dem informell anmutenden »Frau Doktor« beziehungsweise »Herr Professor« im Laufe des Abends gewöhnt. Aber natürlich nehme ich das Angebot an. »Gerne. Ich bin Betty – wie Sie, ah, wie du sicherlich schon mitbekommen hast.«
»Ja, Betty, das habe ich. Ich bin Hanno, wie du sicherlich auch schon mitbekommen hast.« Wir lachen beide. Der weitere Spaziergang nimmt einen unterhaltsamen Lauf, indem wir die Namensgebung durch unsere Eltern rekapitulieren. Betty ist die Abkürzung von Elisabeth. Meine Eltern stammen beide aus einem katholischen Elternhaus, sodass auch mein Name einen historischen Bezug haben sollte. Die heilige Elisabeth, die auch Elisabeth von Ungarn genannt wurde, steht für Nächstenliebe. Hanno dagegen heißt Hanno, weil sein Großvater Heinrich hieß, aber Hanno genannt wurde. Seine Eltern haben ihren Sohn gleich auf die Kurzform des Namens getauft. Eine pragmatische Entscheidung, die zu seinem Umfeld passt. Ich schmunzle unauffällig, lasse Hannos Beitrag zu dem Thema aber unkommentiert.
Nach etwa einer halben Stunde biegen wir in Richtung Wiener Innenstadt ab. Ich freue mich auf den gemeinsamen Absacker mit Hanno in der Weinbar. Heute werden wir uns ganz auf uns konzentrieren können – anders als gestern.
Als wir an unserem Ziel ankommen, ist das Lokal – ähnlich wie am Vorabend – immer noch gut gefüllt. Wir suchen uns einen Stehplatz an einem der Fenster, in der Nähe der Theke. Um mich für das Dinner zu revanchieren, gehe ich zum Tresenund hole eine Flasche des weißen Hausweins. Ich bringe zwei Gläser mit. Hanno schenkt ein. Er prostet mir zu: »Danke für den schönen Abend, Betty. Schade, dass ich morgen früh schon abreisen muss.«
»Ja, schade.«
»Aber lass uns den Rest des Abends umso mehr genießen.« Wir nippen beide leicht verunsichert an unseren Gläsern.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Der Abend neigt sich dem Ende entgegen. Ich frage mich, ob unsere ausgetauschten Blicke und Dialoge alles gewesen sind. Ich träumte von mehr. In mir kommt ein Gefühl des Zeitdrucks auf. Ein Gefühl, die besondere Chance hier in der Weinbar ungenutzt zu lassen. Diese innere Bedrängnis, gepaart mit meinem inzwischen auf ein ordentliches Niveau angestiegenen Alkoholspiegel, schnürt mir die Luft ab. Ich will Hanno berühren, seine Arme an meiner Hüfte spüren, seinen Atem auf meiner Haut willkommen heißen. Ich will mich an seinen Körper schmiegen, ihn ganz fest an mich drücken, ihm zeigen, wie sehr ich ihn mag – wie sehr ich ihn begehre. Aber etwas in mir hält mich davon ab. Es ist Angst. Angst vor einer möglichen Zurückweisung. Ich frage mich: Was, wenn nur ich mich ihm gegenüber so stark hingezogen fühle? Bisher machte Hanno keinerlei Andeutung, die mehr Nähe eingefordert hätte. Weder am gestrigen Abend noch während unserer gemeinsamen Zeit im Fischrestaurant oder des anschließenden Spaziergangs an der Donau: Nie gab es auch nur irgendeine Form der Berührung. Es gab nur freundschaftliche Blicke, die mehr als das waren. Oder rede ich mir das nur ein? Ich würde Hanno durch meine Offenheit sicherlich überfordern, ihn in die Enge treiben. Ich würde vermutlich unsere persönliche wie berufliche Sympathie auf‘s Spiel setzen. Wir könnten uns nie mehr in die Augen schauen. Womöglich würde er denken, dass ich es nur auf das eine angelegt hätte. Dass ichein Typ Frau bin, die mit jedem Mann anbandelt. Woher sollte er auch wissen, dass ich so eine Anziehung seit meiner Begegnung mit Kalle nicht mehr erlebt habe? Über unsere Familien haben wir nie gesprochen. Nicht, weil wir sie hintergehen wollen, sie haben einfach nichts mit uns beiden, hier in Wien, in diesem Moment, zu tun.
Nach etwa einer halben Flasche Wein kommt unsere Unterhaltung ins Stocken. Es kommt mir vor, als wüsste keiner so recht, was als Nächstes passieren sollte. Und dann passiert es doch: Kurz vor unserem letzten Schluck Wein schaut mir Hanno in die Augen und sagt mit ungewohnt ernster Stimme: »Frau Doktor, Frau Doktor, die gemeinsame Zeit hier mit dir ist einfach traumhaft schön.« Dazu nimmt er mich an die Hand.
In dieser Sekunde, mit dieser Berührung,
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