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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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»Über die Freisprecheinrichtung. Stimmt doch, Oliver, oder?« Natürlich antwortet er nicht, und ich spüre, wie ich knallrot werde. »Die Verbindung ist ziemlich schlecht.«
    Meine Mutter hebt die Augenbrauen. »Ein Junge?«, sagt sie lautlos.
    Ich nicke.
    Sie reckt die Daumen und zieht sich zurück. Das Tablett lässt sie da.
    »Das war knapp«, sage ich und seufze.
    Er grinst. »Was gibt es zum Abendessen?«
    »Können wir ernst bleiben?«, bitte ich ihn. »Ich nehme nicht an, dass du Zeichenunterricht genommen hast?«
    Oliver lacht. »Das ist doch nur etwas für Prinzessinnen «, entgegnet er.
    »Ach ja? Erzähl das Michelangelo. Mal angenommen, jemand würde die magische Leinwand übermalen, sodass sie nicht mehr Rapscullios Höhle zeigt … sondern stattdessen mein Zimmer. Und dann malst du dich zufällig darauf. Der Logik nach müsstest du eigentlich dann …«
    »… in deinem Schlafzimmer herauskommen!« Olivers Augen strahlen. »Delilah, du bist unglaublich!«
    Als er das sagt, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Was würde passieren, wenn er jetzt tatsächlich hier wäre und auf meinem Bett säße? Würde er mich abklatschen? Oder umarmen?
    Oder küssen?
    Bei diesem Gedanken brennen meine Wangen wie Feuer. Ich bedecke sie mit den Handflächen, damit Oliver es nicht sieht.
    »Oh, jetzt habe ich dich verlegen gemacht«, sagt er. »Na schön. Du bist nicht unglaublich. Du bist ganz normal. Nullachtfünfzehn. Überhaupt nicht der Rede wert.«

    »Halt die Klappe«, sage ich, grinse aber dabei. »Ich würde gern etwas ausprobieren. Hast du deinen Dolch dabei?«
    »Natürlich«, entgegnet Oliver. Er zieht ihn aus der Scheide. »Warum?«
    »Zeichne ein Bild von mir. Auf die Felswand.«
    Er blinzelt. »Jetzt gleich?«
    »Nein, nächsten Donnerstag.«
    »Oh, gut.« Oliver schickt sich an, den Dolch einzustecken.
    »Das war ein Scherz! Natürlich jetzt gleich!«
    Bilde ich mir das ein oder ist er ein bisschen blass geworden? »Also gut«, murmelt Oliver. »Ein Porträt.« Zögernd richtet er die Dolchspitze auf den Granit. »Von dir.« Er tritt vor und versperrt mir die Sicht, als er anfängt, den Stein zu bearbeiten. Zweimal blickt er über die Schulter, um mein Gesicht anzusehen.
    Ich denke an all die wundervollen Gemälde, die in Ausstellungsräumen auf der ganzen Welt hängen – auf Leinwand gebannte Musen: die Mona Lisa, die Geburt der Venus, das Mädchen mit dem Perlenohrring.
    »Voilà«, verkündet Oliver und tritt zur Seite.
    Eingeritzt in den Stein ist eine Gestalt mit falschen Proportionen, Glotzaugen, wirrem Haar und einem flachen Strich als Mund. In Olivers Augen sehe ich offenbar wie eine Muppetfigur aus.
    »Nicht schlecht, was?«, meint er. »Obwohl ich deine Nase vielleicht nicht hundertprozentig getroffen habe …«
    Kein Wunder. Er hat sie als Dreieck gemalt.
    Ich zögere. »Nimm’s mir nicht übel, Oliver, aber du bist vielleicht nicht der Richtige, um ein Bild von meinem Zimmer zu malen.«
    Er betrachtet mein Porträt mit gerunzelter Stirn, dann lächelt er. »Mag schon sein«, meint Oliver, »aber ich kenne den perfekten Kandidaten dafür.«



Seite 31
    Prinz Oliver träumte, dass eine der Meerjungfrauen ihn immer noch küsste. Er versuchte sie abzuschütteln, bekam kaum noch Luft – und dann öffnete er die Augen. Es war keine Meerjungfrau, die ihn küsste, sondern Frump, der ihm das Gesicht leckte, während Socks ein paar Meter entfernt wieherte und mit den Hufen stampfte. Oliver setzte sich auf. Durchnässt und schmutzig fand er sich am Strand wieder. Er hatte keinerlei Erinnerung daran, dass die Meerjungfrauen ihn an die Oberfläche gebracht hatten, und vielleicht hätte er alles für einen Albtraum gehalten, wenn er nicht mit einer Hand den Kompass umklammert gehalten hätte und mit der anderen den Sack voller Treibgut, von dem die Meerjungfrauen behauptet hatten, es seien Schätze.
    Nach einer Wegstunde erreichten Oliver und seine Getreuen den Fluss der Reue, ein gut hundert Meter breites, tosendes Wildwasser, das schon viele, die es zu überqueren versucht hatten, das Leben gekostet hatte. Die einzige Hoffnung, hinüberzukommen, bot die Trollbrücke, die – das musste man dazusagen – fast ebenso gefährlich war.
    Es ist wohlbekannt, dass Trolle entweder immer die Wahrheit sagen oder immer lügen. Und dass sie jeden Tag zwei Brücken bauen – eine sichere und eine, die bei der geringsten Belastung zusammenbricht.
    Oliver stieg ab, tätschelte Frump den Kopf und ging

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