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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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und ich entdecke auch die anderen beiden Meerjungfrauen. Diese drei Geschöpfe mit dem Seegras im Haar und den ausgemergelten Körpern, den stacheligen Flossen am Rücken, den Kiemen, die sich bei jedem Atemzug öffnen, fand ich besonders gruselig, als ich das Märchen zum ersten Mal las. Kleine Mädchen träumen davon, Meerjungfrauen zu sein, aber nicht solche wie diese. Wenn man sie leibhaftig und aus nächster Nähe vor sich sieht, sind sie noch furchterregender als auf einer Zeichnung. Ich muss mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, was Oliver mir gesagt hat: Die Personen in der Geschichte sind ganz anders, wenn das Buch geschlossen ist. Vielleicht heißt das, dass die Meerjungfrauen nicht die Absicht haben, mich zu töten.
    »Woher kommst du?«, fragt Kyrie, die Meerjungfrau, die mich vor dem Hai gerettet hat.
    »Das ist eine ziemlich lange Geschichte«, sage ich.
    »Oh, bitte erzähl sie«, ruft Ondine und klatscht in die Hände. »Wir haben schon so lange keine neue Geschichte mehr gehört.«
    »Schwestern«, gurgelt Marina und schwimmt näher an mich heran. »Setzt den Jungen nicht unter Druck. Seht ihr nicht, dass er Angst hat?«
    Den Jungen? Halten sie mich etwa für einen Jungen? Der Gedanke versetzt mich derart in Panik, dass ich Einspruch erheben muss, denn ich weiß nur allzu gut, was diese Meerjungfrauen mit Männern anstellen, die in der Nähe ihres unterseeischen Zuhauses ins Wasser fallen.
    »Ich bin kein Junge«, sage ich.
    Ondine wirbelt im Kreis um mich herum. »Du bist aber wie einer angezogen.«
    »Dort, wo ich lebe, ziehen sich alle jungen Leute so an.«
    »Und wo ist das genau?«, will Marina wissen.
    »In New Hampshire.« Ich zögere. »Das ist ein weit entferntes Königreich.«
    »Und was führt dich hierher?«, fragt Kyrie.
    Es ist unmöglich, drei Figuren aus einem Buch zu erklären, dass es eine Welt außerhalb ihrer Vorstellungskraft geben könnte. Das ist auch der Grund, warum die meisten Leute nicht an die Existenz von Außerirdischen glauben und warum niemand außer mir glaubt, dass es Oliver wirklich gibt. »Es war nicht unbedingt meine Idee, hierherzukommen«, sage ich leise. »Dieser Junge hat mich gewissermaßen herzitiert .«
    Die Meerjungfrauen sehen einander an. »Das ist mal wieder typisch«, sagt Ondine.
    »Männer machen immer nur Ärger«, pflichtet Marina ihr bei.
    Kyrie schüttelt den Kopf. »Männer. Man kann nicht mit ihnen leben …, aber ertränken kann man sie auch nicht, zumindest ist das nicht erlaubt.«
    Marina hakt sich bei mir unter. »Süße, hier bist du genau richtig. Wer immer dieser Typ ist, du kommst ohne ihn klar.«
    Mein Mund klappt auf. Diese Meerjungfrauen, die sich im Märchen absolut mannstoll benehmen … sind in Wahrheit eingefleischte Feministinnen?
    »Was hat er dir angetan?«, erkundigt sich Kyrie. »Mit einem anderen Mädchen geflirtet?«
    »Dich als dick bezeichnet?«, mutmaßt Marina.
    »Dir von seiner Ex erzählt?«, meint Ondine, und die anderen stöhnen auf.
    »Das kennen wir alles, Schwester«, sagt Marina.
    »Nein, nichts dergleichen«, versichere ich ihnen. »Er hat mich gegen meinen Willen hierher verschleppt. Ohne mich auch nur zu fragen .«
    »Das ist ja wohl das Allerletzte«, pflichtet mir Ondine bei.
    Marina nickt. »Gut, dass du ihn dir vom Hals geschafft hast.«
    Diese Worte versetzen mir einen Stich. Nachdem ich so lange versucht habe, in Olivers Nähe zu sein, tut es weh, nun ins andere Extrem zu verfallen. »Der Punkt ist der«, sage ich fast flüsternd, »dass ich es irgendwie bereue.«
    Marina seufzt. »Die Liebe ist eine Flutwelle«, sagt sie.
    »Weil sie einem den Boden unter den Füßen wegzieht?«, frage ich.
    »Nein. Weil sie dich mitreißt und du darin ertrinkst.«
    »Aber manchmal«, wende ich ein, »ist sie auch das Einzige, was einen über Wasser hält.« Eins wird mir jetzt klar: So wütend ich auf Oliver bin, weil er mir das angetan hat – mich einfach fortzureißen aus meinem Leben, weg von zu Hause und von meiner Mutter –, ich habe ihn mindestens genauso verletzt, indem ich ihm gesagt habe, dass ich nicht hier sein will. Immerhin habe ich da draußen Jules und meine Mutter. Oliver hat nur mich.
    »Ich glaube, sie ist ein hoffnungsloser Fall«, sagt Kyrie zu ihren Schwestern.
    Marina schnaubt. »Wenn du diesem Penner nicht den Laufpass gibst, dann lass dich von ihm wenigstens nicht wie ein Fußabstreifer behandeln.«
    »Ich weiß nicht, was ihr meint …«
    »Lass ihn ein bisschen schwitzen«, sagt

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