Mein irischer Held
staunte darüber, welch wunderbare Empfindungen seine Zärtlichkeiten in ihr geweckt hatten. Er hatte einen wahren Sturm unterschiedlichster Gefühle in ihr entfacht. Nun war sie zutiefst verwirrt.
Schließlich – zum Glück war niemand in den Flur eingebogen, in dem sie, unfähig sich zu rühren, gestanden hatte – straffte sie die Schultern und begab sich in ihr Schlafgemach.
Declans Vater hatte Laochre noch vor Morgengrauen verlassen. Er wollte von möglichst wenigen Menschen dort gesehen werden, und zum Alban-Arthuan-Fest würden immer viele Gäste auf der Burg weilen. Zudem hatte Hugh ihm eingeschärft, dass er seinen Bericht innerhalb kürzester Zeit abliefern müsse, wenn er Kiaras Leben nicht in Gefahr bringen wollte. Also eilte der Ire jetzt zu dem Lager, das Marstowes Soldaten ein paar Meilen von Patricks Festung entfernt aufgeschlagen hatten.
Mit jedem Schritt wurde ihm das Herz schwerer. Als er seinen Sohn so unerwartet in den Armen der Normannin gesehen hatte, wäre er am liebsten zu ihm gestürzt und hätte ihn an sich gerissen. Aber er hatte genau gewusst, dass das ganz unmöglich war. Also hatte er nur eine Nachricht an seine Schwägerin geschickt und diese gebeten, sich um den Jungen zu kümmern.
Würde er Declan je wiedersehen? Seine Mission war anders verlaufen, als er gehofft hatte. Es war einfach Pech gewesen, dass ausgerechnet einer seiner Freunde in der vorhergehenden Nacht zu den Wachposten gehört und ihn sogleich in ein Gespräch verwickelt hatte. War dieser Freund misstrauisch geworden? Die Wahrscheinlichkeit war groß …
Aber ihm blieb keine Wahl. Er musste zu den Normannen zurückkehren.
Als er ihr Lager erreichte, brachte man ihn sofort zu Robert Staunton, dem Befehlshaber der Soldaten.
„Welche Nachrichten bringt Ihr?“, fragte dieser.
„Patrick und Bevan MacEgan werden nach Tara reisen. Ein Trupp von Kriegern wird sie begleiten. Deshalb werden sich in der Festung weniger Soldaten aufhalten als gewöhnlich. Die äußere Mauer wird sowieso kaum bewacht. Es gibt dort eine Stelle, die dringend repariert werden müsste. Ich könnte sie Euch zeigen.“ Er war erstaunt darüber, wie leicht es ihm fiel, zu lügen.
„Was wisst Ihr von Lady Genevieve?“
„Sie kann sich auf Laochre frei bewegen. Offenbar wird sie behandelt wie ein Gast. Für jemanden, der kein Misstrauen unter den Soldaten erregt, dürfte es leicht sein, sie zu entführen. Ich selbst werde sie nach Rionallís bringen, und sie im Tausch gegen meine Frau dortlassen.“
„Gut. Vergesst nicht, dass es Eurer Frau zum sicheren Verhängnis wird, wenn Ihr versucht, uns zu hintergehen.“ Staunton gestattete sich ein kleines Lächeln. „Hier habt Ihr den Lohn für Eure Bemühungen.“ Er warf dem Iren einen Lederbeutel zu.
Der Beutel war so leicht, dass er keinesfalls Münzen enthalten konnte. Der Mann öffnete ihn mit vor Nervosität zitternden Fingern. Drinnen fand er eine lange Haarsträhne. Kiaras Haar! Anscheinend hatte man ihr auf Rionallís den Kopf geschoren.
Jetzt zitterte er vor Wut.
Genevieve kitzelte Declan, der in lautes Lachen ausbrach.
Der Junge schien wieder gesund zu sein. Manchmal hustete er noch ein wenig. Aber es hörte sich nicht mehr erschreckend an, und das Fieber war verschwunden.
Genevieve fiel in das unbeschwerte Kinderlachen ein, obwohl sie in ihren Gedanken gerade mit ernsteren Dingen beschäftigt war. In der Nacht, noch ehe sie zu Bett gegangen war, hatte sie ihre wenigen Besitztümer zusammengepackt, damit sie bereit war, um mit den Männern nach Tara zu reisen. Am Morgen hatte sie Bevan noch einmal daran erinnert, dass sie zu ihrem Vater wollte. Doch der Ire hatte sich standhaft geweigert, sie mitzunehmen. Auch Patrick schien davon überzeugt zu sein, dass es besser war, wenn sie auf Laochre blieb. Widerstrebend hatte sie sich fügen müssen. Allein konnte sie den Weg nach Tara nicht zurücklegen, da sie damit rechnen musste, dass Hughs Männer ihr irgendwo auflauerten.
Ein Klopfen riss sie aus ihren Grübeleien. „Herein!“
Eine junge Frau öffnete die Tür. Beim Anblick des Jungen begann ihr Gesicht zu strahlen. „Declan, mein Schatz“, rief sie auf Gälisch.
„Tante Síle!“ Er rannte zu ihr und warf sich in ihre Arme.
Genevieves Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Ihr seid nicht seine Mutter?“, fragte sie leise.
Die junge Frau trat zu ihr, ergriff ihre Hände und drückte sie voller Herzlichkeit. Ich bin die Schwester seiner Mutter. Und Ihr seid Lady Genevieve?
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