Mein irischer Held
Genevieve blass wurde. Er hatte ihr wehgetan. Und er schämte sich auch dafür. Aber es war ihm unmöglich, sich zu entschuldigen.
„Lebt wohl“, hörte er sie noch sagen.
Ihre Stimme bebte, und er konnte nicht umhin, sich noch einmal nach ihr umzuschauen.
Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann ging sie mit großen Schritten an ihm vorbei. Sie würde seine Gegenwart auch nicht eine Sekunde länger ertragen können.
8. KAPITEL
Genevieve lief die Treppe hinab, durchquerte den großen Saal und trat in den Hof hinaus. Ein eisiger Wind zerrte an ihrem Kleid und wehte ihr ein paar Haarsträhnen ins Gesicht. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht einmal einen Mantel angezogen hatte. Vor Kälte begann sie zu zittern.
„Ich habe etwas für Euch!“, rief jemand ihr zu.
Sie wandte sich um und konnte den wollenen Umhang, den Ewan ihr zuwarf, gerade noch auffangen, ehe er in den Schnee fiel. Sie legte sich das warme Tuch um die Schultern und bedankte sich.
Der Junge kam näher. „Ihr irrt Euch in Bezug auf meinen Bruder.“
„Ewan“, ihre Stimme klang jetzt vorwurfsvoll, „hast du etwa gelauscht?“
Er nickte, dabei wirkte er ein wenig betreten.
Sie seufzte. Vermutlich war es sinnlos, ihn auszuschimpfen. Also fragte sie nur: „In welcher Beziehung irre ich mich?“
„Glaubt Ihr wirklich, dass Bevan Euch nicht will? Er will Euch sogar sehr. Das Problem ist, dass Ihr keine Irin seid. Sonst würde er Euch bestimmt lieber heute als morgen heiraten.“
Da der Wind erneut an ihrem Haar riss, zog Genevieve sich den Umhang über den Kopf. Ewans Eifer amüsierte sie. Allerdings fiel es ihr schwer, die Worte des Jungen ernst zu nehmen. Was wusste er mit seinen vierzehn Jahren schon über die Liebe?
„Habt Ihr einmal überlegt, warum er vorhin zu Euch gekommen ist?“, wollte Ewan wissen.
„Um sich zu verabschieden.“
„Eben!“ Ein triumphierendes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Knaben. „Kommt, wir gehen zum Tor. Da können wir zuschauen, wie mein Bruder und unsere Soldaten losreiten.“
„Mir liegt nichts daran, Bevan noch einmal zu sehen.“
„Ihr seid verärgert. Nun, vielleicht sollten wir auf die Mauer steigen und meinen Bruder mit Schneebällen bewerfen.“
Ewan war wirklich noch ein Kind. Doch sein Vorschlag hatte Genevieve zum Lachen gebracht. „Auf gar keinen Fall“, erklärte sie.
In diesem Moment war von den Ställen her Pferdegetrappel zu hören. Eine Gruppe von Reitern überquerte den Hof. Genevieves Laune änderte sich sofort wieder. Ihr Ärger über Bevans Verhalten flammte aufs Neue auf, zornig wollte sie sich abwenden.
Doch der Ire hatte sie bereits bemerkt und brachte sein Pferd direkt vor ihr zum Stehen. Als er sich zu ihr herabbeugte, machte ihr Herz einen Sprung.
„Es tut mir leid“, sagte er. Dabei schaute er ihr fest in die Augen.
Sie wollte etwas erwidern, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Ihr Puls raste, und sie rechnete fest damit, dass Bevan ihr einen Abschiedskuss geben würde.
Aber dann sagte er nur „Lebt wohl“, wendete sein Pferd und folgte eilig dem kleinen Trupp, der das Tor schon fast erreicht hatte.
Sie wusste, dass seine Entschuldigung ehrlich gemeint war. Letztendlich war das aber kein Trost. Er hatte ihr verboten, ihn nach Tara zu begleiten. Gleichwohl würde ihr Schicksal sich dort entscheiden. Je nachdem, zu welchem Entschluss die Könige kamen, würde Bevan ihr Feind oder ihr Gemahl werden.
Tara, die Residenz des irischen Hochkönigs Ruaidhrí, war eine mächtige Festung. Die starke hölzerne Umfassung wurde von mehreren Wachtürmen gekrönt. Schon von Weitem sah man die beeindruckenden Verteidigungsanlagen. Niemand, der sich der Burg über eine der fünf wichtigsten Fernstraßen Irlands näherte, die hier zusammentrafen, sollte daran zweifeln, dass Tara uneinnehmbar war.
Als Bevan und seine Leute fast vor dem Tor angekommen waren, hörten sie, wie ein Mann vor Schmerz aufschrie und dann in gebrochenem Gälisch um Gnade bettelte. Ruaidhrí hatte den Ruf, ein gerechter König zu sein. Aber es war auch allgemein bekannt, dass er die Normannen nicht mochte.
Bevan schaute sich aufmerksam um. In einiger Entfernung entdeckte er den Lia Fail, den legendären Krönungsstein, von dem es hieß, er würde Tränen der Freude vergießen, wenn der rechtmäßige König erschien. Einen Moment lang wünschte er sich, es gäbe auch einen magischen Stein für die Rechtsprechung. Dann könnte er sicher sein, dass man ihm Rionallís zurückgeben
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