Mein irischer Held
wollte. Außerdem musste sie möglichst gut sein, damit auch Ewan sein Bestes gab. Die Zuschauer sollten sein Können schließlich bewundern.
Das Schwert in Genevieves Händen schien immer schwerer zu werden. Auch ihre Füße fühlten sich mittlerweile an, als wären sie aus Blei. Würde Ewan weitermachen, bis er sie so traf, dass Blut floss? Sie nahm alle ihre Kraft zusammen. Noch wollte sie nicht aufgeben.
In diesem Moment trafen sich ihre Blicke. Ewan hatte verstanden, worum es bei ihrem Wettstreit ging. Noch zwei, drei Schläge, dann senkten beide Kämpfer wie auf Kommando ihre Schwerter.
Ewan wandte sich den Zuschauern zu und setzte eine selbstzufriedene Miene auf. „Genug“, sagte er, „ich würde mir Vorwürfe machen, würde ich die Gemahlin meines Bruders verletzen.“
Trahern brach in amüsiertes Lachen aus. „Mir scheint, jeder dieser Kämpfer hat den Siegespreis verdient. Los, Junge, hol dir deinen Kuss!“
Ewans Wangen färbten sich hochrot. Doch ohne zu zögern trat er auf ein Mädchen mit rotbraunen Zöpfen zu. Er griff nach ihren Händen und drückte ihr einen herzhaften Kuss auf den Mund.
„Und jetzt Ihr, Genevieve. Wählt gut! Es ist nur ein Kuss, der Euch zusteht.“ Trahern spitzte die Lippen, als erwarte er, dass sie ihn küssen würde.
Die Zuschauer lachten, als Genevieve ihrem Schwager die Wange tätschelte und bedauernd den Kopf schüttelte. Dann trat sie an ihm vorbei auf ihren Gemahl zu. Sie legte Bevan die Hände auf die Schultern und drehte sich dann noch einmal in
Richtung der versammelten Menschen. „Dies ist meine Wahl.“
Die Menge applaudierte.
Bevan musste sich ein wenig herunterbeugen, damit Genevieve ihn küssen konnte. Seine Miene war angespannt, aber sie wusste, dass er sie nicht beschämen würde, indem er ihr ihren Preis verweigerte. Vermutlich würde er ihren Kuss sogar erwidern. Aber er würde es mit heimlichem Widerwillen tun.
Nein, das würde ihr nicht gefallen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte seine Lippen leicht mit den ihren. Dann wandte sie sich von ihm ab und floh aus dem Saal.
Bevan hatte das Gefühl, als sei er wieder ein Knabe und zum ersten Mal mit seinem Vater auf der Jagd. Damals war ihm ein Reh vor den Bogen gekommen. Deutlich erinnerte er sich an die Augen des Tieres: groß, ängstlich, unschuldig. Er hatte es erschossen.
Genevieves Blick, als sie ihn küsste, hatte ihn an dieses Reh erinnert. Auch sie hatte zugleich ängstlich und unschuldig ausgesehen. Aber da war noch etwas anderes – die Hoffnung, eine zweite Chance zu bekommen. Bisher hatte er ihr diese verwehrt.
Sicher, er war bereit gewesen, ihren Kuss zu erwidern. Er hatte den Zuschauern den Eindruck vermitteln wollen, dass zwischen ihm und seiner Gemahlin alles in Ordnung war. Aber ehe er seinen Vorsatz in die Tat hatte umsetzen können, war Genevieve vor ihm geflohen. Sie hatte ihn einfach stehen lassen.
Warum, um Himmels willen, folgte er ihr jetzt bloß?
Als er in den Flur einbog, sah er sie vor der Tür zu ihrem Gemach stehen. Sie hatte den Kopf gegen das Holz gelegt und ihre Schultern bebten. Sie weinte.
Schuldgefühle stiegen in Bevan auf. Es war nie seine Absicht gewesen, seine Gemahlin unglücklich zu machen. Sanft legte er ihr die Hand auf die Schulter.
Sie wandte sich um – und er sah die Verzweiflung in ihren Augen.
„Genevieve!“ Er zog sie an sich, und plötzlich verspürte er den Wunsch, ihr nun, da niemand zuschaute, einen innigen Kuss zu geben, keinen, bei dem sich die Lippen nur sehr flüchtig berührten.
Er schmeckte das Salz auf ihnen. Ihr Mund war weich, warm, einladend. Sie öffnete ihn ein wenig, und Bevan nutzte die Chance, sie leidenschaftlicher zu küssen. Mit einem tiefen Seufzer legte sie ihm die Arme um den Hals.
Eine Weile standen sie so da und tauschten Zärtlichkeiten aus. Bevans Puls beschleunigte sich. Und jene Begierde, die Genevieve nun schon so oft in ihm geweckt hatte, erwachte aufs Neue. Er umfasste ihre Hüften, presste sich an sie.
„Bevan, du brauchst nicht …“, murmelte sie, den Mund an seinem Hals.
„Pst.“ Er verschloss ihr die Lippen mit einem weiteren leidenschaftlichen Kuss. Eine Stimme in seinem Inneren warnte ihn, dass das, was er tat, falsch war. Aber er wollte nicht darauf hören. Er wollte nicht vernünftig sein. Er wollte endlich dem Verlangen nachgeben, das ihn schon so lange quälte. Er wollte Genevieve in den Armen halten, ihren wunderbar weiblichen Körper erforschen und alles um sich herum
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