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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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beurteilt. Gleichzeitig verdichten sich die Gerüchte, daß die Spannungen zunehmen, weil der Orange-Orden entschlossen ist, am 12 Juli in voller Länge an der Belfaster Lower Ormeau Road, der Grenze zum katholischen Belfast, vorbeizumarschieren. Ähnliches wird von Portadown bekannt, einem Ort westlich von Belfast, wo die Orange-Männer durch die katholische Garvaghy Road marschieren wollen, was auf seiten der Einwohner des Viertels zu bösem Blut und Gegendrohungen geführt hat.
    Die Wogen gehen hoch, schlagen heftig gegeneinander und lassen nichts Gutes erahnen.
    Deshalb erst einmal hinaus in die Natur.
     

Wir haben immer nur zurückgeschlagen
     
    Auf dem Wege zum Glenariff Forest Park.
    An diesem Sommermorgen die Antrimküste entlangfahren, bei diesem Licht, das ist wie den ersten Schöpfungstag erleben, als wenn die Erde gerade wachgeküßt worden wäre - das samtige Meer, die klare Luft, das blühende Land.
    Am Eingang der Ortschaft Glenariff, noch vor dem Park, liegt ein Friedhof mit lauter Rundkreuzen. Protestantisch oder katholisch? Ich will es wissen und klingle an der Tür eines Hauses gegenüber der Friedhofspforte. Es erscheint ein junges Mädchen, das mich auf meine Entschuldigung anlächelt, hereinbittet und meine Frage beantwortet: »Es ist ein katholischer Friedhof.«
    Auf der Kommode steht ein Foto des Papstes.
    Dies ist, erfahre ich, eine vorwiegend katholische Gegend, etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Hat es zwischen ihr und den Protestanten Zusammenstöße gegeben? Das Mädchen schaut mich erstaunt an, schüttelt den Kopf, sagt: »Nein, nie, hier bei uns nicht. Das ist anders als in den Städten. Hier im Ort kennt jeder jeden.«
    »Auch am 12. Juli nicht?«
    »Nein«, sagt sie, »auch dann nicht. Ein paar Protestanten marschieren, jedes Jahr wieder, unbehelligt, und der Zug löst sich danach auf.«
    Liegen Belfast und Londonderry auf einem anderen Planeten?
    Das Mädchen hat drei Schwestern und einen Bruder, will - school leaving - nächstes Jahr auf die Universität und möchte danach Tierärztin werden. »Gibt es einen schöneren Beruf?«
    Nein, bestätige ich, den gibt es nicht.
    Der Versuch, mich der Großmutter vorzustellen, scheitert.
    Sie ist 89, betdägerig und schläft noch, wie sich bei mehreren Anläufen herausstellt. So verabschiede ich mich, ohne grandma gesehen zu haben.
    Welch ein Morgenerlebnis - das Mädchen hatte mich, den Fremden, den Ausländer, sofort eintreten lassen - »Kommen Sie doch herein« -, vertrauensvoll und ohne Furcht.
    Wunderbar.
    Nun weiter, von der A 2 ab und zwischen zwei von der Sonne gleißend beschienenen Höhenzügen hinein in den Glenariff Forest Park.
    Grüne Hecken mit roten Blüten, blumengesprenkelte Wiesen, Felsgrate, scharf abgezeichnet gegen den klaren Himmel -schön wie das Shenandoah Tal in den Appalachen Virginias.
    Vom Berg kommt eine Rüfe herunter - schmal, sprühend, fällt sie Hunderte von Metern herab. Das Wasser hat sich ein abschüssiges Bett geschaffen, über das es schnell hinwegfließt, sich in einer Höhlung unter der Straße verliert und auf der anderen Seite rauschend der Sohle zustrebt.
    Dann auf der Hochfläche des Parks und der Gegenblick.
    Die Felsenränder zu beiden Seiten des Tals aufgewölbt, dazwischen ein grünes Bett, bis hin an die Küste, wo das Meer sichtbar wird, und drüben, über die Irische See hinweg, The Mull ofKin-tyre, Schotdand. Wie um dem Augenblick die Krone aufzusetzen, gleitet von links ein wunderschönes Segelschiff ins Bild, langsam und mit geblähtem Tuch nach Osten driftend.
    Ich setze mich auf eine Holzbank - und will es nicht glauben, vor wenigen Stunden noch in einem aufgewühlten Belfast gewe-
    Um mich herum Sitkafichten, Douglasien, japanische Lärchen und norwegische Tannen. Rasen, der betreten werden darf, Wiesen voll weißer Blumen. Es ist so windstill, daß man lange hin-schauen muß, um die Bewegung der Gräser zu erkennen.
    Dann plötzlich wieder ein Luftzug, der sanft das Ohr umschmeichelt, aber übertönt wird vom Gebrumm einer Hummel, die sich pelzig und schwergewichtig auf Blüten setzt, auffliegt, wieder setzt, und das in einem fort, bis sie mir zwar aus den Augen verschwindet, aber noch lange zu hören ist.
    Die wenigen Besucher, die hier sind, verlieren sich in der Weite des Parks, der für seinen Wasserfall berühmt ist. Den erreiche ich jetzt auf gewundenen Pfaden, und es hat sich gelohnt. Er ist zwar nicht so hoch, nicht so prächtig wie andere von mir erlebte Fälle am

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