Mein ist dein Herz
schlimm wird´s schon nicht werden und selbst wenn, ich unterziehe mich gerne einer süßen Folter.«
O bgleich ich nicht genau weiß, wie süß oder bitter Nancys Vergeltung war, kann ich mit Gewissheit sagen, dass ich nichts und wieder nichts bereue. Diese Nacht hat das Potenzial dazu, als eine der schönsten in die Weltgeschichte einzugehen.
Ich kann derzeit zwar immer noch nicht aufrecht stehen und erzittere bei jeder auch so harmlosen Berührung, aber wozu sollte ich auch aufstehen? Der Inbegriff all meiner Wünsche schnauft leise an meiner Seite, während hinter dem deckenhohen Fenster eine Gipfelspitze im dichten Nebel versinkt. Und wenn da nicht meine Blase wäre, die eine Erleichterung herbeisehnt, würde ich mich für kein Geld der Welt von der Stelle bewegen.
Schlussendlich gebe ich dem menschlichen Ruf nach und erledige ganz nebenbei auch die Morgenhygiene. Nicht, ohne mein Spiegelbild ungewöhnlich lange zu mustern, wohlgemerkt ...
Die Frau im Spiegel ist einfach eine andere, als ich sie zu sehen gewohnt bin. Meine Augen strahlen, die Wangen sind gerötet, die Lippen wegen der vielen Liebkosungen voller und rötlicher, als jemals zuvor. Nicht einmal die lästigste Sucht, seit Erfindung von Zigaretten, kann mich in diesem wunderschönen Traum erreichen. Und genau das ist es ... Ein Traum, der - bitte, bitte, bitte - niemals enden soll.
Auf Zehenspitzen schleiche ich wieder zurück in Seans Zimmer und finde ihn bereits wach und an die Wand gelehnt vor. Ein sanftes Lächeln umspielt seine schönen Lippen, während er die Hand nach mir ausstreckt. Ich verinnerliche den herrlichen Anblick seines nackten Oberkörpers und kuschle mich sogleich in seine Umarmung.
»Das ist so schön hier ... Ein fantastischer Ausblick, wenn man aufwacht und zum Fenster raussieht.«
»Deswegen schlafe ich auch immer mit geöffnetem Rollo. Die Schönheit will jeden Morgen von mir willkommen geheißen werden«, gesteht er und massiert meine Kopfhaut mit den Fingerkuppen. »Wie schauen sie in Natur aus?«
»Was meinst du?«
»Deine Haare ...«, erklärt er lachend.
»Ach so«, stimme auch ich mit ein. »Hellbraun mit einem leichten Rotstich.«
»Warum lässt du sie nicht so, wie sie sind?«
»Weil diese Farbe so gar nicht mit dem Haarschnitt harmonieren will.«
»Dann solltest du sie dir wachsen lassen ... Ich würde zu gerne erfahren, wie du in natura aussiehst ...«, gesteht Sean gedankenversunken und streichelt mich unverändert weiter.
Ich aber erstarre und brauche mehrere Anläufe, um zu begreifen, was mich dermaßen schockiert hat. Er ist nämlich der einzige Mann in meinem Leben, welcher so einen Wunsch geäußert hat. Unbewusst und aus dem Herz heraus ...
Einer Eingebung folgend springe ich auf und krame meinen Geldbeutel aus meiner Handtasche, die bereits seit dem Abend neben dem Bett liegt.
Mit nunmehr zittrigen Händen reiche ich ihm meinen Personalausweis und beobachte jede Regung in seinem zunächst verwunderten Gesicht.
Dieses Bild hat mir schon viele skeptische Blicke eingebracht, weil kein einziger Polizist mir abkaufen wollte, dass die dunkelhaarige Frau auf dem Foto und die Blondine mit dem pfiffigen Kurzhaarschnitt, die ein und dieselbe Person sind. Es zeigt mich, als ich noch siebzehn, und dementsprechend eine ›sechzig Kilo schwere Dame‹ mit einer dunklen, hüftlangen Mähne war.
»Du ... bist ... noch schöner, als ich es mir ausgemalt habe«, stottert Sean offensichtlich gerührt und fährt mit dem Daumen über das Bild. Weshalb er so reagiert, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären.
»Damals galt ich als solala.«
»Nach wessen Standard?«, fragt er barsch. »Du warst wunderschön ...«
»Komischerwiese ging ich davon aus, dass ich dir auch jetzt gefalle«, gestehe ich und bin wirklich gekränkt.
»Tust du auch«, versichert Sean weitaus sanfter. »Nur gefällt mir die echte Janessa Bears um einiges mehr. Sie wirkt glücklicher und lebendiger, als das Porzellanpüppchen, welches zwar gerade auf meiner Bettkante sitzt, aber dennoch scheinbar in einem unerreichbaren Paralleluniversum lebt.«
Ich senke den Blick und weiß im ersten Moment überhaupt nicht, was ich sagen soll. Erst als Sean mir den Perso zusammen mit einem tiefen Seufzer wiedergibt, erkenne ich den Grund für meinen Missmut. Es ist nicht einmal etwas, was ich ihm zuschreiben kann ...
»An was denkst du gerade?«, fragt er.
»Daran, dass es nicht nur dir so ergeht. Meine Mutter sagt auch immer, dass ich
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