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Mein ist dein Tod

Mein ist dein Tod

Titel: Mein ist dein Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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den Spiegel mit Zahnpasta?«
    » Womit denn sonst?« George lachte grell. »Hält ja sonst nichts auf einem Spiegel.«
    » Möchtest du was essen? Für ein Spiegelei reicht es noch.«
    » Hab schon, Sohn. Meatballs bei Tante Irmi. You know? Frrrrikaaaadellen, wie der Deutsche sagt. Hab drei gegessen und zwei wieder ausgekotzt.«
    » Und was bedeutet der Satz?«
    » He, he – du immer mit diesem Satz. Fiel mir ein, hatte Spaß dran. Fertig. Weiß selbst nicht mehr, was er bedeutet. Und jetzt lass mich in Ruhe. Will schlafen. Habe in zwei Tagen ein Vorstellungsgespräch bei IKEA. Die brauchen einen für’s Lager.«
    » Dafür solltest du nüchtern sein.«
    » Bin ich dann.«
    Er warf sich auf die löcherige Couch und schwang die Beine hoch. Max rümpfte die Nase. Wie so oft war er in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite liebte und bemitleidete er seinen Vater, andererseits stieß der Mann ihn ab. Zwar hatte George ihm nie körperlichen Schaden zugefügt, trotzdem war sein Niedergang erbärmlich und die Chance eine Stelle zu bekommen so groß wie die eines Schneeballes in der Sonne. George W. Fielding brauchte Hilfe. Professionelle Hilfe. Nicht nur die A nonymen Alkoholiker, sondern einen Psychologen, besser noch einen Psychiater. Drei bis sechs Monate in einer Klinik. Max wusste schon jetzt genug über seelische Befindlichkeiten, um zu sehen, dass dieses verdammte Experiment der Auslöser für eine Krankheit gewesen war, an der dieser Mann eher früher als später sterben würde.
    Genügte ein einziger Schock, ein großer Schrecken, um einen Menschen lebenslang zu verändern? Handelte es sich dabei nicht um Schwäche? Ja, vermutlich. Doch konnte der Machtlose etwas dafür, nicht die Härte und Stärke eines anderen Menschen zu haben? Nicht jeder konnte ein Stehaufmännchen sein. Jede Pflanze trug stabile und filigrane Blätter. Der eine vertrug Schmerzen, der andere fiel in Ohnmacht, wenn er eine Spritze sah.
    Und was war mit den Geräten in der Garage?
    (Fahre fort, mein Sohn!)
    (Ich übernehme die Verantwortung!)
    (Fahre fort, mein Sohn!)
    M ax blickte auf seinen Vater hinunter und beschloss, zur Garage zu gehen. Er nahm den Schlüsselbund und trat nach draußen. Es roch nach Abgasen, denn über der Stadt lag eine dunstige Glocke aus drückender Wärme. Kein kühler Luftzug, keine Frische, sondern Bedrückung, die auch von fernen lachenden Kinderstimmen nicht gebrochen wurde. Hier in den Hinterhöfen der alten Häuser in Tempelhof, die sich noch vor wenigen Jahren verdunkelt hatten, wenn ein Flugzeug vom nur einen Steinwurf entfernten Flughafen startete oder landete, gab es kein Lachen. Als Mutter noch lebte, hatten sie einen Schrebergarten besessen, in dem sie im Sommer lebten, wie viele andere der Bürger in Berlin. Da war stets was los gewesen. Es wurde gefeiert und gesungen.
    Und jetzt? Alles versoffen. Alles vorbei.
     
     
    Die alte Garage schien wie ein längst vergessener Betonklotz Wache zu halten, bis auch die letzten Pflanzen im Müll und der Asche verdorrt waren, die dort abgeschüttet wurden. Dreck, Hitze, Fliegen und Gestank.
    Max öffnete die Tür und schwang sie hoch.
    Er trat ein, blinzelte in die Dämmerung und schloss die Tür hinter sich.
    Alles schien unbenutzt.
    Vaters Meisterwerke warteten.
    Worauf, das ahnte Max. Vielleicht war das nur ein Spleen seines Vaters gewesen? Zu wünschen wäre es ihm.
    Max begutachtete den Stuhl. Den elektrischen Stuhl. Seine Finger tasteten über das Holz. Es war keiner aus Plastik, nicht einer dieser neuen grauen Stühle, sondern einer, der den Schweiß verzweifelter Studenten aufgesaugt hatte.
    Max setzte sich. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Er begann zu zittern.
    Plötzlich fror er.
    (Ich möchte, dass du mir bei meinem Experiment hilfst.)
    Max fragte sich, wie viele Knöpfe er an seines Vaters Stelle gedrückt hätte. Und er fragte sich, wie sich der Schüler fühlen würde, wäre alles wirklich geschehen. Was, wenn der Schüler nicht geschauspielert hätte?
    Im Schreberverein hatte es einen Mann gegeben, der seine Dobermänner mit einem Halsband abrichtete, das mit Stromstößen bestrafte. Max erinnerte sich, es sich aus Neugier um den Oberarm geschlungen zu haben. Mit einer Fernsteuerung löste der Trainer einen Schlag aus. Nur 15 Volt. Es war grausam gewesen, ein Knall, ein Krampf, der durch Maximilians Arm schoss. Nichts, was einem Siebenjährigen schadete, dennoch sehr schmerzhaft. Max erinnerte sich, wie zornig er danach auf den

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