Mein ist dein Tod
zu Monat klarer, als würde er tatsächlich weniger saufen. Etwas stimmte hier nicht.
»Hör zu, Junge«, sagte George W. Fielding. »Jeder Mensch muss sich in seinem Leben irgendwann nicht nur seinen Geistern stellen, sondern auch seiner Schuld. Das habe ich getan. Du hast miterlebt, wohin es mich brachte. Würdest du nicht so oft bei Freunden sein, wüsstest du, dass ich seit einem Monat einen Job habe. Wenn es gut läuft, kann ich dir bei deinem Studium helfen. Das, was mich einst belastete, ist Schnee von gestern, wie man in Deutschland sagt. Ich trauerte um deine Mom, ich trauerte um meine Seele. Aber irgendwann werden wir älter. Ich habe beschlossen, die Vergangenheit dort zu lassen, wohin sie gehört. Sie ist vorbei. Nicht mehr zu ändern. Nur die Gegenwart zählt.«
Max starrte seinen Vater an und fragte sich, ob er sich verhört hatte. Welcher Geist war in seinen Vater gefahren? Er hatte einen Job? Er soff nicht mehr?
» Gehe deinen Weg, Max. Do your own thing. Die Welt gehört dir. Denke nicht mehr über deinen Dad nach, sondern darüber, was aus deinem Leben wird.«
Max konnte sich nicht erinnern, jemals eine so pädagogische Rede von seinem Vater gehört zu haben. Sein Hals war trocken, er war sprachlos.
»Was verschweigst du mir, Dad?«
Und da war es, das winzige Blitzen in George W. Fieldings Augen, an dem Max erkannte, dass der Mann die Unwahrheit sprach.
»Was ist wirklich los?«
» Gehe und lebe, Sohn«, sagte sein Vater. »Und lass mir mein Leben. Gehe deinen Weg.« Er verließ die Wohnung. Hart schlug die Tür zu.
Und sie blieb geschlossen.
Für eine lange Zeit.
Max bekam ein Stipendium. Er ging zur Uni und lebte in einem Wohnheim.
Er war siebzehn.
17
Berlin, 2013
» Du willst wirklich wissen, was mich umtreibt?«, fragte Max.
Lena gab zurück: »Haben wir noch Geheimnisse voreinander?«
Max ging neben ihr. Es war kühl, aber trocken. Sie waren in der Jungfernheide am Flughafensee, einem beliebten Badesee. Der Flughafen Tegel befand sich in Blickweite, nicht weit entfernt war das Vogelschutzgebiet. Hier gab es Sandstrände und kleine, verborgene Buchten, die derzeit alle belegt waren. Auch Kühle schützte nicht vor dem Bedürfnis, sich in der freien Natur Liebe zu schenken. Überall wurde geknutscht und gefummelt.
» Dann höre zu«, sagte Max.
Lena sah zu ihm hoch. Er war einen Kopf größer und sein markantes Profil erinnerte an einen karstigen Berg im Sonnenuntergang.
»Seitdem ich ein Junge war, interessierte ich mich für das, was Menschen sind. Gut oder böse. Aber das ist zu einfach. Denn Menschen verfügen über viele Facetten. Vor fünfzig Jahren machte man Experimente, mit denen bewiesen wurde, dass fast jeder Mensch zum Mörder werden kann, wenn er für sich dafür eine Rechtfertigung findet oder sie ihm gegeben wird. Sei es, dass man ihm die Verantwortung abnimmt oder ihm einen guten Grund nennt. Das klingt hart, ist aber so.«
Er schritt weit aus.
Lena wollte sein Hand greifen, doch er entzog sie ihr, da er gestikulierte, während er sprach.
» Diese Experimente sorgten für Aufruhr, was kein Wunder ist. Schließlich bewiesen sie, wie banal das Böse ist, jederzeit bereit, da es in uns wirkt. Wie also sollte man Bösewichter bestrafen, wenn man ahnte, dass derselbe Bösewicht in einem selbst lauerte? Na gut, jeder hat das Recht der freien Entscheidung, aber wie weit greift dieses Recht? Es gibt starke und schwache Menschen. Jene, die man schnell beeinflussen kann, andere die völlig labil sind und wieder solche, die kompromisslos ihren eigenen Vorstellungen folgen. Jeder Mensch ist anders.«
» Und doch wieder gleich«, sagte Lena leise.
» Ja, und das ist das Problem. Nehmen wir diese jungen Leute, die wahllos auf alte oder junge Menschen eintreten, sich an ihnen abarbeiten und Schlimmes tun. Was treibt sie an? Warum machen sie das? Glaubt man dem Experiment, ist der Schritt zum Mörder ein ganz kleiner. Vielleicht eine Missstimmung, Alkohol, eine andere Form von Kontrollverlust und schon ist es geschehen. Spricht man später mit diesen Menschen, glauben sie selbst kaum, was sie getan haben. Dieses Verhalten kennen wir auch von den Männern, die in der Nazizeit Grausamkeiten anrichteten und später der Meinung waren, sie hätten doch alles richtig gemacht, da es jedermann so tat. Rechtsempfinden als kollektives Gefühl.«
» Das ist schrecklich.«
» Ich sagte in meiner Therapiestunde, wir würden später über das sprechen, was man heute
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