Mein ist dein Tod
beweisen, dass sie alle Mörder sind.«
»So wie damals, als die Experimente gemacht wurden.«
»Du wirst mir dabei helfen, Lena. Als Gegenleistung helfe ich dir.«
» Wobei?«
» Du weißt es, verdammt. Du weißt genau, was ich meine.«
Sie wusste es. Und sie wollte ihn berühren, ihn so stark berühren, wie man es nur mit sich selbst vermochte. Sie meinte, seine Haut zu riechen. Seinen Atem, seine Blöße. Noch nie war sie einem Menschen so nahe gewesen. Sie redeten nicht über das Wetter, einen Kinofilm oder über andere Nichtigkeiten, sondern sie offenbarten sich auf eine Weise, die unheimlich war. Unheimlich schön. Aufreizend und derart intim, dass sie eine Gänsehaut bekam und ihr Herz wie wild pochte. Ihre Offenheit, ihr gegenseitiges Vertrauen hatte eine Grenze überschritten, die unantastbar war. Sie hatten das letzte Tabu gebrochen. Sie waren eins. Waren gemeinsam!
»Liebe mich«, raunte sie.
» Ja.«
» Hier und jetzt.«
Er schob sie in das Waldstück und sie lehnte sich vornüber an einen Baum. Er zerrte ihr e Jeans nach unten und drang vehement in sie ein. Sie presste ihr Gesicht an die Rinde, genoss jede Sekunde, schluchzte ihre Lust ins Moos und stellte sich vor, was sie tun würde.
Rache!
Blut!
Tod!
Und was er tun würde. Gemeinsam mit ihr und sie gemeinsam mit ihm.
Rache!
Blut!
Tod!
Sie weinte ihren Orgasmus gegen den Baum, während er sich in ihrer Schulter verbiss wie der Dämon, den sie liebte, brauchte und wollte.
18
Berlin, 1992
Das Studium lief erfreulich. Max kellnerte und wohnte in einer WG. Alles war bestens.
Wären nicht die Nächte gewesen, in denen er den Stuhl vermisste.
Nie hätte er gedacht, dass sich sexuelle Lust bei ihm auf ein Objekt projizieren könnte; dass es so etwas gab, war ihm selbstverständlich bekannt. Er schämte sich und versuchte, den Drang zu unterdrücken.
Vor allen Dingen suchte er nach den Gründen für sein Verhalten und fand keine befriedigende Antwort.
Alles änderte sich, als sein Kommilitone Frank ihm stolz ein Videoband präsentierte. Es war die Zeit der Videorekorder, massige Kästen, in denen VHS-Bänder abgespielt wurden. Und je verruchter die Bänder waren, desto besser.
» Echte Hinrichtungen«, sagte Frank. »Ist eine verbotene Kassette. Kriegt man nur unterm Ladentisch.«
Max zeigte ihm einen Vogel. »Und wer will so einen Dreck sehen?«
» Du vielleicht?«
» Nee, lass mal. Muss noch lernen.«
» Hab auch ein Konzertvideo von Def Leppard dabei.«
» Na, dann lieber Hinrichtungen«, gab Max zurück, der sich eher an Black Sabbath oder den Stones erfreute. Im selben Moment durchfuhr es ihn, als habe ihn ein Blitzschlag getroffen. »Sagtest du Hinrichtungen?«
» Sagte ich das, Mann?«
» Elektrischer Stuhl und so?«
» Na klar.«
» Okay, vielleicht schau ich mal rein.«
» Tue das, Alter. Maria und ich gehen heute zu ner Fete. Willste nicht mitkommen?«
» Wie gesagt, muss noch lernen.«
» Okay. Man sieht sich.«
Und weg war Frank.
Und vor Max lag das Video.
Ein Schwarzer.
Groß, mit breiten Schultern und kahlrasiertem Schädel.
Vier Männer führen ihn zur Kammer. Die Handkamera wackelt, aber niemand würde bezweifeln, dass das Video echt ist. Max erkennt das sofort, denn kein Schauspieler könnte mimen, was nun geschieht.
Die Tür zur Kammer öffnet sich.
Dort ist er, der Stuhl. Hartes Holz, massive Beine, oben eine Metallschnalle, überall Lederspangen.
Der Delinquent sieht zum ersten Mal, was ihn töten wird. Er kennt die Bilder, weiß, was ihn erwartet, und doch ist das Gefühl, nie wieder etwas anderes zu sehen, übermächtig. Ihm bricht der Schweiß aus. Nein, das ist untertrieben. Die Suppe läuft ihm über das Gesicht und sein ganzer Körper zittert und bebt. Das alles innerhalb weniger Sekunden.
Das kann kein Schauspieler leisten. Max hält den Atem an. Lieber Gott, wieso darf man so etwas auf Film verkaufen? Gibt es keine Grenzen mehr? Doch er sieht hin, kann nicht anders.
Der Stuhl.
Dort steht er. Der elektrische Stuhl.
Der schwarze Hüne bleibt still, zuckt nicht, sein Rücken bleibt ruhig, seine Mimik unverändert, doch dann geschieht etwas, mit dem Max nicht gerechnet hat. Der Delinquent taumelt, seine Beine wollen nicht mehr. Er scheint erst jetzt wirklich begriffen zu haben, was auf ihn wartet, Panik, die eine Mauer durchstößt, und das raubt ihm jede Kraft. Dieser Anblick, dieser gottverdammte Anblick. Seine Beine beben wie dünne Äste im Sturm. Die Männer halten
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