Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein ist dein Tod

Mein ist dein Tod

Titel: Mein ist dein Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
Fotos. Ich vermute, es sind Erinnerungen aus dem kollektiven Unterbewusstsein, weniger welche, die meine sind.«
    Lena hörte aufmerksam zu, doch Max beschloss, es ihr genauer zu erklären. »Erinnerungen kommen aus dem, wie wir Psychologen es nennen, sequenziellen Langzeitgedächtnis. Manchmal kommen Erinnerungen auch durch Assoziationen. Trotzdem stimmen sie meistens nicht mit den tatsächlichen Ereignissen überein, auch wenn wir das beschwören würden. Sie besitzen immer einen subjektiven Charakter.«
    Lena sagte: » Wie der Geruch von gemähtem Gras, der jedem vertraut ist. Ich zum Beispiel assoziiere damit eine Wiese und vielleicht einen Sonnentag im Sommer und dann kommen Bilder aus meiner Kindheit hoch.«
    Er sah Lena an, die Asche in ein Wasserglas abstreifte. »Ich langweile dich also nicht? Weißt du, manchmal kommt einfach der Psychologe durch.«
    » Nein, überhaupt nicht.« Sie beugte sich vor und küsste ihn.
    Max erklärte: »Du hast von gemähtem Gras, einer bunten Wiese gesprochen – wie kann man sicher sein, wie kann ich sicher sein, dass ich all das tatsächlich erlebt habe? Stammt es nicht vielleicht aus einem Spielfilm? Oder stammen die Bilder aus einem Buch? Bin ich es, der diese Szene schon einmal gesehen hat, oder hat man mir davon erzählt? Woher weiß ich, dass ich diese Momente selbst erlebt habe? Wie wahr ist die Erinnerung? Erleben zwei Menschen dasselbe Ereignis, einen Autounfall etwa, können sie völlig unterschiedliche Erinnerungen daran haben. Jemand, der kindlichen Ängsten ausgesetzt war, mag sich an ganz andere Details erinnern als sein Mitfahrer, der von jeher stressresistent ist – als hätten die beiden niemals nebeneinandergesessen.«
    » Was es der Polizei so schwer macht, wenn es um Augenzeugenberichte geht, nicht wahr?«
    » Stell dir vor, Lena, in einem aufsehenerregenden Experiment hat man Erwachsenen manipulierte Fotos gezeigt, auf denen sie als Kinder mit ihren Vätern bei einer Ballonfahrt zu sehen waren. Die Hälfte der Probanden wollte sich an die angeblich aufregende Reise in den Himmel erinnern. Ein verblüffendes Ergebnis. Denn es hatte diese Reise nie gegeben – in das Bild von der Ballonfahrt waren Kinderfotos der Versuchsteilnehmer hineinmontiert worden.«
    » Und warum erklärst du mir das so ausführlich?«
    » Ich möchte damit deutlich machen, dass ich nichts, was vor meinem zehnten Lebensjahr geschah, wirklich weiß und das, was ich zu wissen meine, nicht ernst nehme. Ich akzeptiere, dass ich vor diesem Zeitpunkt keine relevanten Erinnerungen habe, also auch nicht an meine Mutter. Die beginnen erst, als mein Vater zu saufen anfing.«
    Dann berichtete er von der Maus, die er hatte ertrinken lassen, weil sein Vater es so wollte und irgendwie auch er selbst. Er ließ nicht aus, wie sehr er darunter litt, dass sein Vater ein versoffenes Wrack wurde. Und schließlich schilderte er ihr, wie er seinen Vater und die alten Männer bei einer geheimen Sache beobachtet und von der Prügel, die er von George W. Fielding bezogen hatte. Was das in ihm ausgelöst hatte, verschwieg er ihr. Er versuchte, nach wie vor Verständnis für seinen Vater aufzubringen und seine Stimme war ganz ruhig.
    Keine Wut, keine Abscheu.
    »Deshalb wollte ich Psychologe werden«, sagte er. »Um zu helfen. Ich wusste selbst am besten, was ein Trauma mit einem Menschen anstellen kann. Mein Vater war das beste Beispiel.«
    » Und wie ging es nach der Sache in der Lagerhalle weiter?«
    » Ich lag eine Weile mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Als man mich fragte, was geschehen war, log ich, denn ich wollte meinen Vater nicht belasten. Seither bin ich ihm nie wieder begegnet. Als ich neugierig noch einmal die Lagerhalle aufsuchte, war sie leergeräumt.«
    » Und dein Vater? Was ist mit ihm?«
    » Ich will es nicht wissen. Der Mann interessiert mich nicht mehr. Ich beendete mein Studium und eröffnete die Praxis.«
    » Frauen?«
    » Wenige, meine Süße. Mein Beruf war für mich stets wichtiger, als feste Beziehungen. Meine Meinung dazu änderte sich erst, als ich dich kennenlernte.«
    » Was meinst du damit?«
    » Mit dir bin ich gerne zusammen. Ich genieße jede Sekunde. Und ich möchte, dass das so bleibt. Am besten für immer.«
    Warme Zärtlichkeit durchflutete Lena. In seinen Augen glitzerte die Liebe, seine feinen Lachfältchen vermittelten einen Hauch Humor, seine Lippen kräuselten sich. Er zog sie an sich und küsste sie.
     
     
    Nachdem sie sich ausgiebig geliebt und

Weitere Kostenlose Bücher