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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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fünf Tagen. Außerdem war er siebenundsechzig, also fast schon siebzig, und wartete darauf, dass er allmählich die Lust verlor. War er im Begriff, die gleiche Dummheit zu begehen wie damals in seiner Ehe? Schon bei den früheren Begegnungen mit Michaela Bossi war ihm die erotische Spannung zwischen ihnen aufgefallen. Nicht nur ihm: Martina hatte damals ihre Eifersucht hinter ironischen Bemerkungen nur schlecht verbergen können. Sollte er nicht, wenn schon die Lust wach blieb, wenigstens in die Beständigkeit und Vernunft seiner Jahre kommen? Beide Frauen gehörten zur Generation seiner Tochter, deutlich zu jung für ihn.
    Michaela Bossi folgte ihm ins Atelier. Jetzt erst fiel ihr auf, dass keines seiner düsteren Bilder zu sehen war. Seine gemalten Albträume hatten sie bei den ersten Besuchen hier abgestoßen; Martina hatte ihr zugestimmt, die Sachen, wie er seine Werke nannte, seien unverkäuflich. Niemand wolle sich etwas derart Beunruhigendes ins Wohnzimmer hängen, doch das gelte auch für gut die Hälfte aller Exponate in den großen Museen.
    Jetzt sah sie sich umgeben von Flächen aus hellen Gelbtönen, unterschiedlichem Weiß, Rosa, Hellblau: Papierbahnen an den Wänden, Leinwände, die an der Mauer lehnten, Malkartons auf zwei Staffeleien zeugten in ihrer Einfarbigkeit von der Aufgabe, die Swoboda sich gestellt hatte.
    Meine monochrome Phase, kommentierte er ihre Blicke. Welcher Ton, glaubst du, hat das geringste Gewicht?
    Zielsicher ging sie auf einen lichtblauen Bogen Aquarellpapier zu, der über seinem Sofa mit dem Bettzeug hing, blieb stehen, zögerte, wandte sich einer Leinwand zu, die auf dem Boden stand: ein reines, kalkiges Weiß. Löste sich, suchte weiter.
    Siehst du, sagte er, so geht es mir auch. Ich gehe vom einen zum andern, wechsle die Prozentanteile der Farben, die Verdünnung, den Auftrag. Und ich finde zu keiner Entscheidung. Anfangs habe ich mit einem sehr zarten Grünschimmer experimentiert, jetzt habe ich alles Grün rausgeschmissen, vielleicht ist das falsch, vielleicht ist die Auferstehung gar nicht gelb oder himmelblau oder rosa, sondern grün!
    Sie musste lachen.
    Vielleicht hat sie gar keine Farbe, sagte sie.
    Dann kann man auch das Fensterglas drin lassen, was ich durch Farben ersetzen soll. Bei einfachem Klarglas denkt jeder bloß ans Putzen, keine Sau an die Himmelfahrt. Weiß stimmt auch nicht, weiß ist im Glasfenster Milch, nicht Licht. Die Frage ist, was ist oben? Was ist so leicht, dass es nach oben gerissen wird? Wie soll man sich die Auferstehung vorstellen? Der Herrgott wirft seinen Riesenstaubsauger an und zieht uns alle in seinen himmlischen Sack? Oder hört hier unten einfach jedes Gewicht auf, erst langsam, dann, wenn man aus der Grube schwebt, wird man schwindlig, schließlich wiegst du nur noch so viel wie deine Seele, die vermutlich das spezifische Gewicht von Licht hat. So, und nun mal das mal.
    Sie setzte sich in den zerschlissenen Clubsessel vor der ersten Staffelei.
    Ich sowieso nicht. Ich weiß nur, dass Blut rot ist und der Tod schwarz.
    Schwarz? rief er. Das hat mit dem Tod überhaupt nichts zu tun. Der Tod ist eine Mischung aus Kobalt dunkel mit Van-Dyck-Braun, tiefer Umbra, ein bisschen Ultramarin und Chromoxydgrün dunkel, das ist das Schwarz des Todes, nicht dieses Elfenbeinschwarz aus der Tube, das ist bloß Fläche, das taugt höchstens als Rand, als Schatten völlig unbrauchbar. Und Blut ist auch nicht einfach rot, Blut ist –
    Er unterbrach sich und fixierte sie.
    Nicht nett, mich so hinterlistig auf die Spur der Morde zu lenken.
    Entschuldige, aber ich brauche dich wirklich, deine nun schon berühmte Nase. Ich ahne dein Problem als Künstler, aber ich bitte dich, mein Problem als spießige Beamtin zu verstehen. Das BKA hat sich in den Leichenfund im Fischerhaus nur deswegen eingeschaltet, weil das Verteidigungsministerium darum gebeten hat. Wir wissen nicht, warum, vermuten aber, dass es denen darum geht, irgendwelche Wehrmachtsgeschichten zu vertuschen. Also liegt die Annahme nahe, dass es sich bei dem Ötzi von der Nelda um einen Kriegsgefangenen handelt. Und was die Frauenmorde betrifft: Waren wir uns nicht mal einig, dass unser Job wichtig ist, um wenigstens im Nachhinein den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?
    Ein großes Wort. Hast du’s auch kleiner? Unsere Arbeit hat mit Gerechtigkeit nicht das Geringste zu tun.
    Er sah stumm auf sie hinunter, holte dann vom Ende der Farbentische einen bunt verklecksten Stuhl heran, prüfte mit

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