Mein ist der Tod
der Hand, ob er trocken war, drehte ihn mit der Lehne nach vorn und setzte sich breitbeinig Michaela Bossi gegenüber.
Wie weit seid ihr mit dem Computerspiel?
Mein ist der Tod? Kein Stück weit, unsere Experten haben das Passwort noch nicht geknackt. Ich versteh nichts davon, aber es scheint mit einer militärischen Software verschlüsselt zu sein.
Probiert es mal mit Dante.
Dante?, fragte sie verblüfft. Wie kommst du auf Dante?
Er lächelte. Meine Nase! Nein, im Ernst: Dieser Typ hat an einer Stelle im Panorama hinter sich selber einen Ausschnitt aus einem Gemälde von Eugène Delacroix einkopiert. Das Bild heißt Die Dantebarke und zeigt die beiden Dichter Dante mit roter Mütze und Vergil mit Lorbeerkranz in einem Nachen oder einem Kahn, sie fahren auf einem See vor der Höllenstadt. Ich hab’s hier in einem Katalog, wenn es dich interessiert.
Die Kommissarin zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte.
Bossi. Bitte um Rückruf. Dringend.
Sie schaltete ab.
Samstag, und kein Mensch erreichbar. Wir haben also einen literarisch gebildeten, möglicherweise kunstsinnigen Serienkiller? Wer weiß noch von dem Delacroix?
Martina. Und der Leiter der Kultur in den Zungerer Nachrichten , Wilfried Herking, ich hoffe, er arbeitet sich gerade durch Dantes Göttliche Komödie .
Herking war im Fünften Gesang angekommen und las vom Eingang der Hölle:
Dort wartet Minos mit dem Schlangenschweif,
und prüft, in welchen Höllenkreis er sendet.
Untrüglich ist sein Urteil, streng und reif.
So oft um seinen Leib der Schweif sich wendet:
so wird der Kreis der Hölle angezeigt.
Gerecht ist Minos. Keiner, der ihn blendet.
Seine Augen verengten sich, als könne er dadurch schärfer denken. Er fand sich ganz gut in der griechischen Mythologie zurecht und rief sich in Erinnerung, dass Minos der Sohn von Zeus und Europa war, mithilfe des Meeresgottes Poseidon König wurde, den weißen Stier aber, den Poseidon ihm gesandt hatte, nicht, wie vereinbart, zu opfern bereit war. Der rachsüchtige Poseidon strafte daraufhin Minos’ Gattin Pasiphae mit Wahnsinn, sie verknallte sich in den Stier, ließ sich von dem Erfinder Dädalos eine Holzkuh bauen, in der sie sich verbarg und von dem Stier bespringen ließ. Aus dem schwer vorstellbaren Liebesakt entstand der stierköpfige Sohn Minotauros, der Tage nach seiner Geburt einer Amme die Finger abbiss und verspeiste, und hier schloss sich die lange Geschichte mit den Menschenopfern im Labyrinth an, mit Ariadne und ihrem Faden und Theseus und Ikaros …
Aber was zum Teufel hatte König Minos in Dantes christlicher Hölle zu suchen?
Und von einem Schlangenschweif, einem Schwanz, den der König offenbar mehrfach um seinen Leib schlingen konnte, wusste der Mythos ebenfalls nichts.
Das Bild blieb rätselhaft.
Er lehnte sich zurück und starrte auf den Monitor. Dann gab er Minos in die Internetsuche ein und wurde mit einem ziemlich abstoßenden Gemälde belohnt. Es stammte von Michelangelo, eine Ecke aus seinem großen Fresko des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle des Vatikan. Unten rechts, im Bereich der Hölle, steht ein fetter alter Kerl, nackt, mit Hängebrüsten und riesigen, nach vorn gerichteten Teufelsohren, einer unangenehmen Visage, grinsend, obwohl sich eine grüne Schlange zwischen seinen Beinen in seinen Penis verbissen hat.
Doch was Herking an ihm faszinierte, war der Schweif des Mannes, den er zwei Mal um seinen Leib geringelt trägt. Offenbar signalisiert er einem Sünder neben sich, der ihn mit panisch aufgerissenen Augen anstarrt, dass auf ihn der zweite Kreis der Hölle wartet.
Hatte der Vermummte in dem Computerspiel Mein ist der Tod nicht ebenfalls eine Art Schwanz um den Körper gewunden? Hatte er nicht angekündigt, er werde seine Betrachter in die Hölle führen?
Herking atmete laut aus. Er war sicher, den Zugang gefunden zu haben. Das Passwort musste Minos lauten. Damit würde man vermutlich zu dem Ort gelangen, an dem der Täter das Herz von Iris Paintner deponiert hatte: die Maria vom brennenden Herzen in der Aegidiuskirche.
Drei Tage bevor Verena Züllich den blutigen Muskel entdeckt hatte, war die DVD in der Redaktion eingetroffen. Hatte der Mörder damit gerechnet, dass man auf die Lösung kommen würde, bevor er das Herz in die Kirche gebracht hatte? Brauchte er den Nervenkitzel, dass der Fundort vorsorglich überwacht wurde? Oder war er sicher, dass es mehrere Tage dauerte, bis man auf sein Ratespiel mit Dante kommen würde?
Der
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