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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Redakteur streckte die Hand zum Telefon, um Swoboda zu informieren. Ehe er den Hörer nehmen konnte, klingelte der Apparat. Auf dem Display erschien die Schrift Anonym . Er hob ab.
    Zungerer Nachrichten Herking?
    Die Stimme klang männlich, jung, mit einem künstlichen Echo, und sprach melodisch die Verse:
    Er trug getrennt sein Haupt an seinen Haaren – wie eine Weglaterne in der Hand – es stöhnte auf, als wir ihm nahe waren …
    Ein blechernes Lachen.
    Die Hölle beginnt vor deiner Tür!
    Dann das Freizeichen. Herking legte auf. Er spürte seinen Herzschlag. Dass er allein in der Redaktion war, hatte er der Ruhe wegen eben noch genießen können, plötzlich aber machte ihm die Leere Angst: Woher wusste der Anrufer, dass er am Samstag hier war? Hatte er ihn beobachtet? Und wieso begann die Hölle vor seiner, Herkings, Tür? Zu Hause? Hier im Zeitungsgebäude am Schillerplatz?
    Er stand auf und ging zum Fenster. Der Blick auf den nassen Platz und den üblichen samstäglichen Einkaufsbetrieb beruhigte ihn. In einer Stunde würden die Kollegen kommen und mit der Arbeit an der Montagsausgabe beginnen. Alles wie immer.
    Seine Vorsicht, die ihn nie verließ, riet ihm, aus dem Büro zu gehen und das Gebäude zu überprüfen. Im Korridor ließ die Automatik die Lampen aufflackern. Der Lift stand noch im Stockwerk, öffnete sich, ließ Herking ein und fuhr gehorsam die zwei Etagen nach unten. Die Empfangstheke lag spiegelblank und leer vor ihm, die Glastüren rechts und links der gesperrten Drehtür waren verschlossen. Er war am Morgen durch die Tiefgarage heraufgekommen.
    Von wegen Hölle, dachte er und lächelte über sich selbst. Den kleinen Schatten am Fuß der rechten Glastür hielt er für eine Spiegelung des Wassers, das fingerbreit auf dem Schillerplatz stand. Dass sie nicht verging, als er nach links zur Treppe ging, irritierte ihn. Er blieb stehen. Wieder sein Herzschlag. Der Standardsatz seiner Therapeutin fiel ihm ein: Wenn Sie immer nur Ihrer Ängstlichkeit gehorchen, Wilfried, werden Sie nie herausfinden, welche Abenteuer das Leben für Sie bereithält.
    Er ging zur Tür und sah, dass außen auf der Stufe ein brauner DIN-A4-Umschlag am Glas lehnte. Es schien ihm die gleiche gefütterte Versandtasche wie bei der DVD Mein ist der Tod zu sein. Er schloss die Tür auf, holte die Tüte herein, sperrte zu und nahm die Treppe in den zweiten Stock.
    Der Anfang der neuen DVD war derselbe wie in der ersten: Nach der Schrift Mein ist der Tod, Gold vor blutrotem Horizont, trat der Kapuzenmann als Minos mit zwei Ringen seines Schweifs um den Leib auf, zauberte Schlangen aus der dunklen Luft, bis er von ihnen umgeben war wie das Haupt der Medusa. Doch seine unnatürlich tiefe Stimme sprach diesmal voller Hass einen anderen Text:

    E ’l capo tronco tenea per le chiome!

    Herkings Assoziation funktionierte: Es musste sich um den italienischen Text für die deutsche Übersetzung handeln, die ihm die Stimme am Telefon aufgesagt und mit dem scheppernden Lachen beschlossen hatte.
    Er trug getrennt sein Haupt an seinen Haaren …
    Er klickte auf Weiter, gab als Passwort Minos ein. Das Spiel reagierte mit identity unknown .
    Kurz darauf fand er in den Dante-Foren des Internets heraus, welche Figur in der Göttlichen Komödie/Hölle ihr eigenes Haupt, getrennt vom Rumpf, wie eine Laterne, herumtrug. Im achtundzwanzigsten Gesang stieß er auf den intriganten Troubadour Bertram dal Bornio, der dazu verurteilt ist, in der Hölle geköpft herumzulaufen:

    Er trug getrennt sein Haupt an seinen Haaren
    Wie eine Weglaterne in der Hand:
    Es stöhnte auf, als wir ihm nahe waren.

    Herking war sich sicher, dass der Täter in der ersten DVD vom Spieler forderte, den Namen Minos herauszufinden, der das Passwort war.
    Für die zweite DVD hatte er ein neues Passwort, vielleicht Bertram dal Bornio , eingesetzt. Doch auf die Eingabe dieses Namens reagierte das Programm wieder mit identity unknown . Er variierte die Schreibweisen. Negativ.
    Seine Gedanken überstürzten sich. Wer spielte mit ihm auf eine so vertrackte Weise, wer stellte seine literarische Bildung auf die Probe? Er dachte darüber nach, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen ihm und Iris Paintner gab, und fand keine logische Verbindung. Bestimmt war das Opfer im ersten Video unter dem Passwort Minos verborgen worden, und hinter dem Namen des Troubadours Bertram dal Bornio verbarg sich der zweite Mord, dem seine Praktikantin Saskia Runge zum Opfer gefallen war. Warum aber gab

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