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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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einer dieser erbärmlichen Selbstdarsteller in hellblauem Hemd und dunkelblauer Krawatte werden, einer von diesen Lackaffen in ihren spiegelblank geputzten Häuschen, wo jeder mit einem Sack voll Lügen nach Hause kommt, ihn in der Garage abstellt und am nächsten Morgen wieder mit ins Büro mitnimmt.
    Ich habe die aufgeblähten Kerle früh durchschaut, ihre schmarotzenden Weiber und quengelnden Rotznasen. Abschaum einer Spezies, die einmal Gottes Ebenbild war!
    Was wollte ich? Ich wollte ein guter Mensch werden! Ein Mensch mit einer reinen, starken Seele. Man wird mir das nicht abnehmen, aber es ist wahr, ich könnte mich auf den Heiseplatz stellen direkt neben den Fischerbrunnen, und ich könnte dort zur Menschenmenge sagen: Ich will ein guter Mensch sein, sonst gar nichts.

VII

    Die Vergangenheit

    GERNOT PAINTNER WAR EIN STARRER MANN.
    So, wie er an diesem Sonntagnachmittag unter wechselndem Wind den Erpenberg hinauf zur Villa seiner Schwester Freya ging, hätte man ihm die Erstarrung nicht angesehen. Im Gegenteil: Er konnte als rüstiger Mittsiebziger gelten, was an seinem entschiedenen Gang und kerzengeraden Rücken lag, eine Körperhaltung, auf die er seit seinem sechsten Lebensjahr von Eltern und Lehrern verpflichtet worden war und die er seither beibehalten hatte. Im Grunde war sie ihm das Wichtigste im Leben gewesen, und so hatte der erzieherische Befehl, von außen nach innen wachsend, jene Verkümmerung seiner Gefühle bewirkt, die er für Charakterstärke hielt.
    Er ahnte, was Freya von ihm wissen wollte, und nahm sich vor, sich an nichts zu erinnern. Auf diese Weise würde er den unangenehmen Besuch rasch hinter sich bringen.
    Aus dem Himmel und seiner Wolkenjagd überfielen ihn kühle Böen, Paintner hielt mit der rechten Hand seine Hutkrempe fest, mit der Linken zog er den Kragen seines Kamelhaarmantels dicht. Das Wetter gefiel ihm, es passte zu seiner Laune. Physisch war er mit seinen sechsundachtzig Jahren in erstaunlich gutem Zustand. Es ging ihm sehr viel besser als seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Helmut. Der Tod seiner Frau Elisabeth, die 1956 den Sohn Martin zur Welt gebracht hatte, lag nun dreizehn Jahre zurück. Seit dieser Zeit hatte Paintner, der es ablehnte, bei Martins Familie zu wohnen und sich in einer luxuriösen, ihm gehörenden Dachwohnung am Kornmarkt selbst versorgte, zwei Beschäftigungen zu Leidenschaften entwickelt: Er ging ausdauernd spazieren und er schrieb Leserbriefe.
    Seine Spaziergänge dienten ihm vorwiegend dazu, mit strengen Blicken zu missbilligen, was ihm unterwegs als ungehörig auffiel. Vor allem Jugendliche strafte er mit seiner abfälligen Miene, wenn sie auf der Straße Bier tranken, ihre Haare zu bunt waren oder die Jeans zu tief hingen. Die jungen Leute scherten sich nicht um ihn, doch bettelnde Obdachlose konnte er ausdauernd derart verächtlich ansehen, dass sie Angst vor dem alten Herrn bekamen und sich entfernten. Freundliche Blicke schenkte er Frauen mit Kinderwagen, so als wollte er sie ermuntern, für weiteren Nachwuchs zu sorgen. Auch in seinen an viele Redakteure der Republik gerichteten Leserbriefen gab er mit ermüdender Regelmäßigkeit seiner Gewissheit Ausdruck, das deutsche Volk werde aussterben. Seine Zuständigkeit in allen Fragen der Gesellschaft begründete er damit, dass es ihm im Verlauf seines Lebens gelungen sei, den Umsatz des vom Vater übernommenen Holzbetriebs Paintner zu verdreißigfachen. Nur Erfolg, das stand für ihn fest, ermächtigte zur Kritik; wer nichts vorzuweisen hatte, sollte den Mund halten. Sein Lebenswerk berechtigte ihn auch zur regelmäßigen Einmischung in die Geschäftsführung des Betriebs, und Martin nahm die Übergriffe seines Vaters widerspruchslos hin.
    Freyas Villa lag in einem nordwestlichen Randbereich von Zungen, der sich am Ufer der Mühr zwischen der Prannburg und der neuen Bundesstraße erstreckte und bereits Ende des neunzehnten Jahrhunderts in mehrere Großgrundbesitze aufgeteilt worden war. Dort befanden sich die Anwesen der Fleischfabrikantenfamilie Ungureith und der Bierbrauerdynastie Sinzinger. Auch die ehemalige Villa Staff mit ihrem Park gehörte dazu. Sie stand leer, seit sich vor den Gerichten der Streit zwischen der Stadt und den in den USA lebenden Verwandten der 1940 ermordeten jüdischen Besitzer hinzog.
    Die Straßen am Erpenberg, ihrer Lage wegen vor Hochwasser sicher, waren nicht breit, doch glatt und ruhig, von soliden Mauern mit aufgesetzten Staketenzäunen gesäumt, hinter denen

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